Am Anfang Stand Der Knochenkrebs
Mein Weg in die Amputation war ein langer Weg, der sich in mehreren Etappen über fast zwei Jahrzehnte hinzog. Hier in diesem ersten Teil erzähl ich euch ein wenig, wie alles begann. Und in den folgenden beiden Episoden kommen wir der Amputation dann Schritt für Schritt näher.
Aber jetzt erst mal von vorne. Also…Erst waren da Schmerzen im Knie, dann kam eine Krebsdiagnose und letztendlich ein jahrelanger Kampf mit vielen Auf und Abs. Soweit alles in Kürze. Aber jetzt doch auch mehr en détail. Also…
Als Kind liebte ich Sport. Leichtathletik, Skifahren, Skateboardfahren, Surfen, Volleyball, was auch immer es in Sachen Sport war, die Chancen standen gut, dass es mir gefiel. Normalerweise war ich immer irgendwo draußen sportlich aktiv. Und in meinen Teenagerjahren bedeutete dieses "irgendwo" oftmals auf dem Volleyballfeld. Das war meine große Leidenschaft.
"Ein Bisschen Schmerz! Das Ist Alles“, Dachte Ich.
Bis zu dem Tag, an dem mein linkes Knie zu schmerzen begann. Zunächst nichts allzu Störendes. Die Schmerzen traten nur auf, wenn ich sehr aktiv war und viel trainierte. Zu dieser Zeit - ich war fünfzehn - war ich noch im Wachstum. Und so war der Arzt anfangs auch nicht allzu besorgt. In meinem Alter, bei all den Sportarten, die ich ausübte, und noch im Wachstum, so sagte er, fällt es den Gelenken manchmal schwer, Schritt zu halten. „Geh es einfach eine Zeit lang etwas langsamer an und das Knie wird sich von selbst wieder erholen", so sein Rat.
Und genau das habe ich getan. Ich ging es etwas langsamer an. Ich hörte sogar mit dem Volleyballtraining auf, da Volleyball die Aktivität zu sein schien, die mir am meisten Schmerzen bereitete. Aber trotz der Pause wurde das Knie schlechter statt besser. Das war nicht der Plan. Und nach einigen Wochen beschloss ich, meinen Arzt abermals aufzusuchen. Zu dem Zeitpunkt, als ich meinen Termin hatte, war das Knie geschwollen - und schien von Tag zu Tag noch dicker zu werden. Irgendetwas stimmte einfach nicht. Ich spürte es. Und rückblickend glaube ich, der Arzt spürte es auch. Er wollte es zu diesem Zeitpunkt nur noch nicht zugeben.
Stattdessen überwies er mich an einen Spezialisten. Jemanden mit besserer Ausrüstung, der besser in der Lage war, eine bessere Diagnose zu stellen. Es wurde eine Computertomographie geplant, um hoffentlich ein Ergebnis zu erhalten, auf dem wir dann eine Therapie aufbauen konnten.
Die Scans zeigten ein ungewöhnliches Wachstum in oder um meinen oberen Schienbeinknochen herum. Und das war an sich schon beunruhigend genug, so dass der Spezialist mich sofort an das nächste Krankenhaus überwies. Dort sollte eine Biopsie - also eine kleine Operation, bei der eine Gewebeprobe zur weiteren Untersuchung entnommen wird - mehr Klarheit bringen. Damals sagte er nichts, aber ich bin sicher, dass er bereits wusste, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit bestand, dass das ungewöhnliche Wachstum im oberen Schienbeinknochen tatsächlich Knochenkrebs war.
Von dem Tag an, an dem ich die Biopsie durchführen ließ, ging alles schnell. Sehr schnell sogar. Die Untersuchung des entnommenen Gewebes zeigte, dass ich ein Osteosarkom hatte. Anstatt also nach der Operation entlassen zu werden, wurde ich sofort an das Lehrkrankenhaus der Universität des Saarlandes in Homburg/Deutschland verlegt. Die dortige Kinderonkologie würde für die kommenden Monate mein zweites Zuhause sein. Und obwohl ich anfangs dachte, dass die Einweisung auf die Kinderstation echter Mist war - in der Woche, in der ich die Station das erste Mal betrat, wurde ich sechzehn Jahre alt - glaube ich, dass mir diese Entscheidung in Wirklichkeit das Leben gerettet hat.
Überleben Wurde Zur Langfristigen Teamarbeit
Mein Leben habe ich vor allem dem Team um Norbert Graf zu verdanken, einem bekannten und überaus engagierten Krebsspezialisten; einem menschen mit viel Humor, der auch in den stressigsten Situationen immer entspannt wirkt. Norbert und sein Team sind die erstaunlichste Gruppe von Menschen, der ich je begegnet bin. Und wenn ich auf meine über 50 Lebensjahre zurückblicke - ich habe auf vier Kontinenten gelebt und habe in mehr als zwei Dutzend Ländern gearbeitet - glaube ich, dass ich überdurchschnittlich viele sehr erstaunliche Menschen aus der ganzen Welt getroffen habe.
Norbert ist kein Süßholzraspler. Er war offen und ehrlich, erklärte mir, was mir bevorstand. Er betonte, dass die kommenden Monate eine Reise sein würden, die von der ganzen Familie Opfer fordern werde und dass jeder seinen Beitrag leisten müsse. Die Zeit würde hart, der Ausgang sei ungewiss. Aber er machte auch deutlich, dass wir uns auf ihn und seine Erfahrung, auf sein Team und das Engagement jedes Einzelnen in der Klinik verlassen könnten, alles dafür zu tun, den Krebs zu besiegen. Und obwohl die Chancen nicht die besten waren, hatte ich das Gefühl, dass ich eine gute Ausgangsposition hatte, von der aus ich diese Reise beginnen konnte. Norberts Art, mich und meine Familie in unseren Sorgen und Ängsten ernst zu nehmen; seine Art, aufrichtig zu sein und nicht um den heißen Brei herumzureden, und die Tatsache, dass er immer ansprechbar war, machten den Unterschied. Wir haben uns von Anfang an gut verstanden - und sind auch heute, sprich 35 Jahre später noch Freunde und in regelmäßigem Kontakt.
Ich habe sofort mit einer Chemotherapie begonnen. Irgendein wilder Cocktail aus drei verschiedenen Medikamenten (während sie mir damals ein Begriff waren, so kann ich mich heute nicht mehr wirklich an die Namen der einzelnen Medikamente erinnern), der über drei aufeinander folgende Wochen verabreicht werden sollte. Dann bekam mein Körper jeweils ein paar Tage frei, um sich zu erholen. Danach würde der Zyklus erneut beginnen.
Und während ich meine Eingeweide auskotzte, meine Haare und fast 15 kg verlor, verlor ich nie meinen Mut. Meine Familie war großartig und die beste Unterstützung, die ich mir hätte wünschen können. Und das Krankenhausteam hielt, was es am Anfang versprochen hatte, nämlich alles zu tun, was möglich war, um den Krebs zu besiegen. Und sie waren gut darin. Der Tumor sprach vielversprechend auf die Chemotherapie an. Das Sarkom hörte auf zu wachsen. Es schrumpfte sogar ein bisschen - zumindest glaube ich das; es ist erstaunlich, wie das Gedächtnis selbst bei Fakten, die so lebenswichtig waren, im Laufe der Zeit verblasst.
Nach einigen Monaten war es dann Zeit für eine größere Operation. Die Idee war, fast die gesamte Tibia - also den Schienbeinknochen - zu entfernen und durch eine Endoprothese zu ersetzen. Eine Endoprothese war in meinem Fall im Grunde ein Knochenersatz aus Metall, der zwei Zentimeter über dem Knöchel beginnt und bis zum Knie reicht. Das eigentliche Kniegelenk würde mit einem Metallstift im Oberschenkelknochen fixiert werden. Und während ich mit dem neuen Knie nicht mehr laufen und Sport treiben könnte, wäre ich doch in der Lage, zu gehen und ein normales Leben auf zwei Beinen zu führen. Alles in allem also nicht allzu schlimm, dachte ich.
Das galt aber nur, wenn der Chirurg die Endoprothese auch wirklich implantieren könnte. Und das war alles andere als sicher. Nach dem, was er auf den Röntgenbildern sehen konnte, war er sich nicht sicher, ob das tatsächlich möglich sein würde. Als ich in den Operationssaal geschoben wurde, hatte ich also eine 50/50-Chance, ihn ein paar Stunden später wieder mit zwei Beinen zu verlassen. Oder aber mein linkes Bein an Ort und Stelle zu verlieren. Aber da ich ein fast schon grenzenloser Optimist bin, war mir klar, dass der Verlust des Beins keine Option war. Es würde einfach nicht passieren. Nicht damals, nicht dort in dieser Klinik und bestimmt nicht auf diese Weise.
Dem Schicksal Ein Schnippchen Schlagen
Und das Glück war auf meiner Seite. Das Glück und ein sehr geschickter orthopädischer Chirurg. Es gelang ihm, das untere Ende des Metallstabes fest in meinen Knöchel zu implantieren und das obere Ende fest in meinem Oberschenkelknochen zu verankern. Ein paar Stunden nach dem Eingriff wachte ich auf, glücklich. Ein paar Tage später sah ich zum ersten Mal die lange Wunde, die durch fast 50 Stiche zusammengehalten wurde. Und die sah gut aus. Wieder ein paar Tage später begann ich mit einfachen physiotherapeutischen Übungen. Und bald ging es wieder rüber in die Onkologie und ran an die nächste Runde Chemotherapie.
Obwohl der Kampf gegen den Krebs noch nicht zu Ende und noch lange nicht gewonnen war, so war ich doch überzeugt, dass ich mich auf dem Weg der Heilung befand. Es gab Höhen und Tiefen. Mein Körper hatte immer mehr Probleme, mit den Nebenwirkungen der Medikamente umzugehen. Und eine Zeit lang musste ich über einen Schlauch durch die Nase ernährt werden. Alles in allem fühlte ich mich schwach und erschöpft. Aber um den Frühling herum wusste ich einfach: Sterben gehört nicht mehr zu den Optionen. Stand nicht mehr zur Debatte. Nicht damals, nicht dort, nicht auf diese Weise.
Norbert und sein Team hielten ihr Versprechen, ihr Bestes zu geben. Meine Familie hielt ihr Versprechen, das beste Umfeld zu schaffen, das man sich für Heilung und Genesung wünschen konnte. Und ich hielt mein Versprechen, niemals aufzugeben, bis auch die letzte Runde Medikamente durch meinen Körper gepumpt war.
So konnte ich nach fast einem Jahr des Kampfes gegen den Krebs, der Auseinandersetzung mit den Nebenwirkungen der Chemotherapie, nach Wochen über Wochen, in denen die Kinderstation ein zweites Zuhause war, dieses Kapitel langsam abschließen und wieder nach vorne blicken. Nicht von einem Tag auf den anderen. Ich musste immer noch zu regelmäßigen Kontrolluntersuchungen gehen. Aber die Abstände dazwischen wurden immer länger und länger. Das Bein heilte gut. Ich ging wieder zur Schule. Ich begann eine tägliche Schwimmroutine, um wieder fit zu werden. Ich baute mein Fahrrad so um, so dass ich es mit einem Bein fahren konnte. Und für fast zwei Jahrzehnte führte ich ein ganz normales Leben. Auch wenn das Bein nicht voll funktionsfähig war, so war es doch ein vertrauter Begleiter für eine ganze Reihe von wilden Abenteuern.
Aber die Reise war noch nicht vorüber. Aber dazu ein andermal mehr.
Beitrag von Björn Eser, dem Gründer von und Shaker and Maker hinter The Active Amputee.
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