Diagnose Krebs: Der tag, Der Mein Leben Veränderte
Meine Geschichte beginnt als ich15 Jahre alt war. Auch wenn die damalige Diagnose keine große Relevanz mehr in meinem Leben hat, hat mich diese Zeit extrem geprägt und verändert – und das auch positiv – und hat einen großen Einfluss darauf, wer ich heute bin. Von einen auf den anderen Tag hat sich mein Leben komplett verändert. Plötzlich war nichts mehr wie es mal war.
Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich mit meiner Mutter in die Stadt fuhr, um ein CT von meinem Bein machen zu lassen, dass seit Wochen schmerzte. Wir ahnten nicht, dass wir diesen Tag nie vergessen werden – Diagnose Knochentumor.
Mit meinem 15 Jahren war mir dieses Wort kein Begriff. Ich merkte, dass etwas nicht stimmte als meine Mutter in Tränen ausbrach. Und ich saß da, völlig ahnungslos was auf mich zukommen würde. Nicht in der Lage zu fragen, was die Diagnose nun bedeutet, erklärte mir meine Mutter draußen, dass ich Krebs hatte, und zwar einen ziemlich fiesen.
Da brach meine Welt für kurze Zeit zusammen. Ab diesem Zeitpunkt passierte alles wie in Trance. Wir sammelten meinen Vater ein und fuhren direkt ins Krankenhaus, welches für eine gewisse Zeit zum Mittelpunkt meines Lebens werden sollte. Keine Schule, nicht mehr in große Menschenmengen aufhalten und wenig Kraft und Zeit, um Freunde zu sehen. Meine Eltern und auch Großeltern weichten mir in dieser Zeit nicht von der Seite, was mir ermöglichte diese schwierige Zeit, mit vielen schlechten Tagen, Schwäche, Schmerzen, vielen Operationen und vielen Veränderungen in meinem Alltag unversehrt zu überstehen. Da merkte ich das erste Mal, welchen großen Einfluss unsere Gedanken auf unseren Körper und unser Leben haben. Ich lernte im Moment zu leben, das gute in einer Situation zu finden, sei es auch noch so klein und zu kämpfen, jeden Tag aufs Neue.
Nach etwa einem Jahr war es geschafft. Der Krebs war besiegt! Der Tumor wurde entfernt und mit einem künstlichen Knie und Unterschenkelknochen ersetzt. Doch schon ein halbes Jahr später kam der erste Rückschlag. Durch die Chemotherapie wollten die OP-Wunden nicht richtig verheilen. Es bildeten sich Bakterien und die Prothese musste entfernt werden. Und das für drei Monate, die ich im Krankenhaus verbrachte, nicht in der Lage das Bett zu verlassen, um das Bein von den Bakterien zu säubern und eine neue Endoprothese einzusetzen. Eine Zeit, an die ich mich nur verschwommen erinnere.
Ein Neues Leben Beginnen
Und dann war der Moment da. Ich lernte erneut das Laufen und sollte plötzlich wieder ein ganz normales Leben führen. Doch alles hatte sich verändert – ich hatte mich verändert. Menschen die früher meine Freunde waren, wussten nicht, wie sie mir nach so einer schwierigen Zeit begegnen sollten, Freunden mit denen ich früher über alles reden konnte hatte ich nichts mehr zu sagen. Ihr Leben ging weiter in der Zeit in der ich nicht da war und ich hatte mich in eine völlig andere Richtung verändert. Mit meinen inzwischen 16 Jahren war ich in dieser Zeit erwachsen geworden – zumindest erwachsener als meine Freunde. Ich habe gelernt, was für mich im Leben wirklich zählt und habe aufgehört mir über belanglose Dinge den Kopf zu zerbrechen und für jeden noch so kleinen schönen Moment oder Fortschritt einfach nur unendlich dankbar zu sein. Ich konnte das Leben ab diesem Zeitpunkt viel intensiver erleben und mich an vielen Kleinigkeiten im Alltag erfreuen, als ich es mir je hätte ausmalen können.
All dies hat mir 11 Jahre danach dabei geholfen die schwierigste aber auch einfachste Entscheidung in meinem Leben zu treffen. Obwohl mein operiertes Bein mir über diese 11 Jahre hinweg tolle Dienste, durch die Ausbildung, den ersten Job und das Studium hinweg geleistet hat und ich trotz einigen Einschränkungen und Operationen ein tolles Leben führen konnte, hatte ich vor vielen Dingen Angst oder Hemmungen. Dinge, die ich früher gerne gemacht habe, wie Tanzen oder Surfen gingen nicht mehr oder ich traute sie mir nicht mehr zu. Mein operiertes Bein wurde zu meinem Grund keine Herausforderungen mehr einzugehen oder neue Dinge zu probieren. Ich verlor ein Stück weit meinen Mut und meine Abenteuerlust. Doch trotz allem konnte ich mich damit gut arrangieren und suchte mir neue Hobbys, auch wenn immer ein Gefühl da war, als würde etwas fehlen.
Während dieser Zeit saß mir allerdings immer das Wissen im Nacken, dass die Prothese irgendwann noch einmal ausgetauscht werden muss. Nur wann es so weit war, das konnte niemand ahnen. Die Angst davor wuchs bei jedem Muskelkater, bei jedem ziehen im Knie und bei jeder Schwellung von der Sommerhitze, denn ich wusste, dass ein erneutes Austauschen der Endoprothese in meinem Bein nicht einfach werden würde, da bei den letzten Operationen schon sehr viel Knochen entfernt wurde.
Eine Amputation Als Echte Alternative Entdecken
Eine Amputation schwirrte also schon länger in meinem Kopf herum, auch wenn ich noch nicht bereit dafür war. Vor über einem Jahr wurde diese Angst dann Wirklichkeit. Es hatten sich erneut Bakterien gebildet und an der Prothese festgesetzt, die meinen Körper sehr geschwächt hatten. Woher die kamen, weiß ich bis heute nicht. Das bedeutete für mich, dass die Prothese ausgebaut werden musste und ich für einen Monat ohne diese im Bett liegen musste, damit das Bein gesäubert und Bakterien mit starken Antibiotika behandelt werden konnten. Nach vier Wochen mit starken Schmerzen, großer Angst und Ungewissheit wurde eine neue Prothese eingesetzt und ich durfte endlich nach Hause.
Das Laufenlernen ging von vorne los. Als inzwischen Vollprofi darin, eigentlich kein Problem, wären da nicht die blöden Bakterien, die anscheinend doch noch nicht ganz verschwunden waren. Über ein halbes Jahr wollte meine Wunde nicht verheilen. Diese Zeit war für mich viel schlimmer als alles davor, denn ich konnte nicht alleine raus, konnte durch meinen geschwächten Körper kaum etwas machen, hatte Schmerzen und war fast schon isoliert von der Außenwelt. Mein Körper kämpfte aber die Infektion war stärker und kämpfte sich durch, mit allem was dazu gehört – Fieber, Gliederschmerzen und ein heißes, geschwollenes Bein mit Eiterblasen.
Die Notaufnahme schickte mich gleich auf die Station, um erneut mit einer Antibiotikatherapie anzufangen und einen neuen OP-Termin zu veranlassen, damit die Prothese wieder ausgebaut werden konnte. So vergingen wieder drei Wochen, die von vielen Hochs und Tiefs geprägt waren.
Eine Mutige Entscheidung Treffen und Die Dann Auch Umsetzen
Doch eins stand für mich plötzlich fest. Ich möchte keine Prothese mehr eingebaut bekommen sondern ich möchte eine Amputation. So schwierig sich eine solche Entscheidung auch anhört, mir viel sie plötzlich leicht. Ich hatte mich lange damit auseinander gesetzt, mich mit anderen Ausgetauscht und unendlich lange Gespräche mit meiner Familie geführt.
Diese Entscheidung war keinesfalls eine gegen mein Bein oder eine Entscheidung aus Frust und Schmerzen. Es war vielmehr eine Entscheidung für meinen Körper und für ein Leben, dass ich nach meinen Vorstellungen völlig selbstbestimmt leben möchte, frei von Angst und Blockaden im Kopf, über mich selbst hinauswachsen zu können und Dinge zu schaffen, die vorher unmöglich schienen. In meinem Kopf bildetet sich immer und immer wieder neue Ideen, was ich nach einer Amputation alles in der Lage wäre zu tun. Für mich tat sich da eine neue wunderbare Welt auf, die ich unbedingt erkunden wollte.
Meine größte Angst war aber, wie ich meinem Mann und meinen Eltern beibringen sollte, dass ich eine Amputation für mich als beste Chance für ein tolles erfülltes Leben sehe. Doch diese Sorge war völlig unbegründet. Statt Entsetzen, sah ich Erleichterung auf den Gesichtern. Erleichterung darüber, dass ich diese Entscheidung noch alleine treffen konnte, ohne dass es aus ärztlicher Sicht der einzige Weg ist, glücklich, dass ich mich damit für ein besseres Leben entschieden habe und dankbar, welche großartigen Möglichkeiten es heutzutage gibt mit einer Prothese ein normales Leben zu führen.
Und was soll ich sagen – auch wenn es mir einige Menschen nicht ganz glauben wollen, ich bereue meine Entscheidung keine Sekunde, ich liebe mein Leben, so wie es jetzt ist. Mir mag zwar ein Bein fehlen aber ich fühle mich nach 11 Jahren jetzt endlich wieder Ganz und wie ich selbst.
Am Anfang nach meiner Amputation war es besonders schwierig für mich anderen Menschen und vor allem Freunden oder Verwandten zu begegnen, die meine Entscheidung nicht nachvollziehen oder auch nicht unterstützen konnten. Für mich war das unbegreiflich, denn ich war glücklich und sie zeigten mir gegenüber Unverständnis oder Mitleid. Natürlich konnte ich es verstehen, wenn Außenstehende, die meinen Weg dorthin nicht kennen, eine solch große lebensverändernde Entscheidung nicht begreifen können. Dennoch hatte ich damit besonders in den ersten Wochen stark zu kämpfen. Ich fühlte mich überglücklich und endlich gesund, doch dieses Verhalten führte dazu, dass ich mich klein und krank fühlte und immer den Drang hatte, meine Entscheidung zu rechtfertigen. Doch jetzt nach einem halben Jahr nach der Amputation kann ich darüber stehen.
Lass dir von niemanden sagen, was gut für dich oder dein Leben ist. Das kannst nur du allein aus deiner innersten Überzeugung und deinen Erfahrungen heraus wissen. Keiner weiß wieso du zu deiner Entscheidung gekommen bist und dafür musst du dich nicht rechtfertigen, denn niemand hat erlebt was du erlebt hast und kann es nachvollziehen. Mit positiven Menschen an der Seite, die einen stärken und unterstützen ist es außerdem viel einfacher schwierige Zeiten unbeschadet zu überstehen. Wenn wir es zulassen können machen uns schwierige Zeiten sogar stärker, auch wenn es in dem Moment nicht so zu sein scheint. Im Nachhinein lernen und wachsen wir daraus. Im Endeffekt liegt es in unserer Hand sich in Selbstmitleid zu baden oder das beste aus einer Situation heraus zu holen.
"Und Jetzt Freu Ich Mich Auf Ein Leben Voller Abenteuer!"
Ich für meinen Teil trage meine Prothese nach meiner Beinamputation mit Stolz. Sie zeigt was ich für ein starker Mensch geworden bin und was ich alles schaffen kann. Ich bin bereit für ein Leben voller Abenteuer und bin bereit für das zu kämpfen, was ich im Leben erreichen und erleben will. Nach nur sechs Wochen auf der Prothese nimmt das Planen neuer Abenteuer kein Ende und ich kann nur erahnen wohin mich diese spannende Reise meines Lebens noch bringen wird. Mit einem Bein weniger wächst mein Mut von Tag zu Tag und ich bin endlich wieder bereit über mich selbst hinaus zu wachsen und die Welt zu entdecken.
Gastbeitrag von Jasmin Lindenmaier. Jasmin ist eine 26 jährige Oberschenkelamputierte die sich mit ihrer Entscheidung für eine Amputation für ein glücklicheres und angstfreies Leben entschieden. Mit diesem Neuanfang möchte sie ihre Vergangenheit hinter sich lassen und mit ihrer Prothese die Welt entdecken und neue Abenteuer erleben. @prostheticlife.
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