Paraclimbing: 10 einfache Schritte zum Einstieg in einen faszinierenden Sport
Klettern ist ein fantastischer Sport. Ganz gleich, ob du dich für Bouldern oder Top-Rope-Routen an der örtlichen Kletterwand interessierst, vorgesicherte Sportrouten im Freien bevorzugst oder den Nervenkitzel des richtigen Mehrseillängen-Kletterns oder eines Deep-Water-Solos liebst, der Sport bietet für jeden etwas. Und ich meine für jeden, egal ob du nichtbehindert bist (was immer das ist) oder nicht.
Den ersten Schritt ins Unbekannte wagen
Ich erhalte regelmäßig Fragen zu einer Vielzahl von Themen im Zusammenhang mit dem Klettern. Es scheint ein wachsendes Interesse an diesem Sport zu geben, auch unter Amputierten. Gleichzeitig höre ich, dass viele von euch zwar gerne klettern würden, aber zögern, den ersten Schritt zu tun. Einige erwähnten, dass sie sich nur schwer vorstellen können, als Mensch mit Amputation zu klettern.
Um euch etwaige Ängste zu nehmen und den Einstieg möglichst leicht zu machen, ist hier ein simpler Leitfaden: Zehn einfache Schritte zum Einstieg ins Paraclimbing. Der Leitfaden richtet sich an Amputierte der unteren Extremität, insbesondere an Oberschenkelamputierte. Ich werde sehen, dass ich im Laufe des Sommers auch etwas für Menschen mit anderen Bedürfnissen veröffentliche, z. B. für Unterschenkelamputierte und für Menschen mit Amputationen der oberen Extremität.
Haftungsausschluss: Risiken und Sicherheit
Doch bevor wir beginnen, möchte ich ein paar Dinge erwähnen.
Zuallererst: Ich bin kein ausgebildeter oder zertifizierter Klettertrainer. Ich habe nicht die richtige Ausbildung, um euch professionelle Ratschläge zu geben. Die zehn Schritte in diesem Leitfaden beruhen auf meinen persönlichen Erfahrungen und auf den Erfahrungen von Leuten, die ich persönlich kenne. Sie sind kein Ersatz für eine professionelle Beratung odder gar das Lernen von einem/einer gut ausgebildetem/n und zertifiziertem/n Trainer*in.
Außerdem möchte ich darauf hinweisen, dass Klettern gewisse Risiken birgt. Und hier möchte ich auf die Erklärung des British Mountaineering Council verweisen: "Der BMC ist sich bewusst, dass Klettern und Bergsteigen Aktivitäten sind, bei denen die Gefahr von Verletzungen oder Tod besteht. Die Teilnehmer*innen an diesen Aktivitäten sollten sich dieser Risiken bewusst sein, sie akzeptieren und für ihr eigenes Handeln verantwortlich sein." Weitere relevante Informationen über Risiken und Sicherheit findet ihr auf der Homepage des British Mountaineering Council. Bitte vergewissere dich, dass du dir der Risiken bewusst bist, bevor du mit dem Klettern beginnst.
Ein Leitfaden für Anfänger*innen
Sehr gut! Dann fangen wir jetzt an und werden praktisch.
Schritt 1:
Die erste Frage für Oberschenkelamputierte ist, ob sie mit oder ohne Prothese klettern sollen. Auch wenn moderne Mikroprozessor-Knie und immer ausgefeiltere Füße vielleicht schon bald einen Wandel herbeiführen werden, halte ich es für das Beste, ohne Prothese zu beginnen. Das zusätzliche Gewicht, die Schwierigkeiten, die Prothese richtig zu platzieren, und die Tatsache, dass man bei den meisten Füßen die Zehen nicht belasten kann, ohne dass der ganze Aufbau unter einem zusammenbricht, machen die Entscheidung für den Anfang leicht. Zumindest war das für mich so. Probiere es mit und ohne Prothese aus und finde heraus, was für dich am besten funktioniert.
Schritt 2:
Je nach Stumpf musst du entscheiden, ob du eine Art Polsterung oder Schutz für deinen Stumpf benötigst oder nicht. Wenn du einen alten Liner hast, prima! Zieh ihn an. Wenn du keinen hast, kein Problem. Nimm einfach eine alte, bequeme Hose und etwas Klebeband, um ein wenig Polsterung zu schaffen. Diese Option ist nicht besonders schick, aber sie erfüllt ihren Zweck. Viele Leute, die ich kenne, ziehen es sogar vor, überhaupt keine Polsterung um den stumpf zu nutzen. Aber das hängt natürlich von deiner ganz persönlichen Situation ab und davon, wie empfindlich dein Stumpf ist. Probiere einfach aus, was für dich am besten funktioniert. Ein spezieller Kletterfuß oder ähnliches ist am Anfang nicht nötig. Zumindest solange nicht, bis du sicher bist, dass du tatsächlich regelmäßig klettern wirst und bereit bist, in eine eigene Ausrüstung zu investieren. Zu speziellen Kletterprothesen komme ich später noch.
Schritt 3:
Suche dir eine*n Trainer*in und Ausbilder*in, mit dem/der du dich wohlfühlst und der/die bereit ist, seinen/ihren üblichen Ansatz zu ändern, um deinen Bedürfnissen und - möglicherweise - Ängsten gerecht zu werden. Wenn du eine*n erfahrene*n Kletterer*in in deinem Freundeskreis hast, jemanden, dem du vertraust, jemanden, der dir hilft, den ersten Schritt zu machen - großartig. Das ist oft eine gute Möglichkeit, den ersten Schritt zu tun. Wenn nicht, ruf einfach deine örtliche Kletterhalle oder die örtliche Sektion des Alpenvereins usw. an und erkläre deine Situation und dass du eine*n Trainer*in suchst. In den letzten Jahren sind immer mehr Kletterhallen und -vereine auf die Bedürfnisse von Kletterer*innen mit Behinderungen aufmerksam geworden. Viele versuchen ihr Bestes, um die internen Kapazitäten zu erhöhen und Kletterer*innen mit besonderen Bedürfnissen angemessen in den Sport einführen zu können.
Schritt 4:
Mache dir keine Sorgen, dass du nur ein Bein hast. Das ist einfach so, und du kannst nichts dagegen tun (natürlich). Wenn du diesen Sport neu lernst, wirst du automatisch deinen eigenen Stil entwickeln. Du wirst von deinem/deiner Trainer*in lernen, du wirst vielleicht vom Beobachten anderer Amputierter lernen, du wirst vielleicht gute Tipps von anderen Kletterer*innen um dich herum bekommen, aber letztendlich wirst du deinen ganz eigenen Weg finden und deinen ganz eigenen Stil entwickeln.
Schritt 5:
Am Anfang ist die Versuchung groß, die fehlende untere Gliedmaße durch die Kraft der Arme zu kompensieren; vor allem für die Kerle unter euch. Und vor allem am Anfang, wenn du wahrscheinlich in den unteren Schwierigkeitsgraden klettern wirst; so bis in den echten Grad. Das kann auch tatsächlich eine Zeit lang funktionieren. Aber während eine gewisse allgemeine Fitness des Oberkörpers unerlässlich ist und ein Paar starke Arme von Vorteil sind, rate ich dir dringend, deine Fußarbeit von Anfang an zu verbessern. Konzentriere dich auf ein langsames, präzises, fast lautloses Setzen des Fußes. Nicht obwohl du nur ein Bein hast, sondern weil du nur ein Bein hast. Die Muskeln in deinen Beinen sind viel kräftiger als es deine Arme jemals sein werden. Wenn du lernst, diese Kraft zu nutzen und sie auf verschiedene Kletterbedingungen anzuwenden, wirst du dich sicher fühlen und in den verschiedenen Schwierigkeitsgraden vorankommen. Das macht den Fortschritt anfangs vielleicht etwas langsamer, aber es ist die Grundlage, für ein gutes, eines elegantes, ein sicheres Kletterern. Glaub mir: es ist den Aufwand wert!
Schritt 6:
Dieser Schritt geht Hand in Hand mit dem vorherigen. Wie ich schon sagte: Die Konzentration auf die richtige Fußarbeit ist die Grundlage für das gesamte Klettern. Das gilt auch für eine gute Technik. Stelle sicher, dass du deine Bewegungen von Anfang an richtig erlernst. Sorge dafür, dass dies zur zweiten Natur wird. Das macht dich nicht nur zu einem/einer sicheren Kletterer*in, sondern hilft dir auch, Verletzungen zu vermeiden. Vor allem Verletzungen in deinem verbleibenden Bein. Die Mühe, die du am Anfang auf dich nimmst, ist eine gute Investition. Es ist viel einfacher, es von Anfang an richtig zu lernen, als später eine schlechte Technik zu verlernen, bevor du die Bewegungen wieder richtig erlernen kannst.
Schritt 7:
Auch wenn du diese Schritte befolgst, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass du deine Arme viel mehr einsetzt als bei zweibeinigen Kletterern. Vor allem, wenn du das verbleibende Bein hochziehst, ohne die Möglichkeit zu haben, dein gesamtes Gewicht auf den anderen Fuß/den Stumpf zu verlagern. Folglich musst du Wege finden, die das Klettern für deine Arme so einfach wie möglich machen. Du musst Wege finden, um deine Arme zwischen den verschiedenen Zügen und an der Wand auszuruhen. Eine der einfachsten und effektivsten Methoden ist das Klettern mit gestreckten Armen, wann immer es möglich ist. Probiere es aus. Nimm eine leichte Route und klettere sie, wobei du darauf achtest, dass du möglichst mit geraden Armen kletterst. Dann klettere die gleiche Route mit angewinkelten Armen. Merke den Unterschied und wie schnell er erschöpft bist?
Schritt 8:
Konzentriere dich nicht nur auf deine Technik, sondern auch auf den langsamen Aufbau von Kraft in deinen Fingern, Armen und Schultern. Und hier liegt der Schwerpunkt auf langsam und systematisch. Besonders unsere Finger sind verletzungsanfällig - und es kann lange dauern, bis sie heilen. Ich empfehle dir dringend, dich vorher von einem erfahrenen Trainer beraten zu lassen.
Schritt 9:
Es gibt viele Trainingsratschläge, und die Menschen haben unterschiedliche Ansätze, um besser zu werden. Ergänzendes Training mit Gewichten, einem Griffbrett, einem Balancierbrett und wer weiß was noch. Und obwohl ich glaube, dass die meisten dieser ergänzenden Aktivitäten ihren Wert haben, bin ich überzeugt, dass der Schlüssel, ein*e bessere*r und stärkere*r Kletterer*in zu werden darin liegt, tatsächlich zu klettern. Dass mensch oft klettert. Dass mensch regelmäßig klettert. Dass du an verschiedenen Orten kletterst, verschiedene Stile anwendest, verschiedene Settings testest und herausfindest, was dir am meisten Spaß macht.
Schritt 10:
Informiere dich. In den letzten Jahren wurden beim adaptiven Klettern enorme Fortschritte erzielt. Hier sind einige Links, die du dir ansehen solltest:
Allgemeine Informationen
- Der Deutsche Alpenverein bietet Informationen auf seiner Homepage.
- Der British Mountaineering Council ist sehr erfahren, wenn es um Paraclimbing/Klettern für Menschen mit Behinderungen geht. Auf der Homepage des British Mountaineering Council gibt es eine ganze Reihe guter Informationen.
- Auch Climbing USA ist eine gute Anlaufstelle für die Suche nach Informationen, wenn du in den USA lebst.
- Paradoxsports ist sehr erfahren und eine gute erste Anlaufstelle für den Einstieg ins Klettern.
- Oder informier dich bei deinem nationalen Kletterverband oder deinem örtlichen Kletterverein.
Menschen mit einem reichen Erfahrungsschatz (sorry, alle aus dem Vereinigten Königreich)
Erwägst du den Kauf eines speziellen Kletterfußes
- Der ADK-Kletterfuß
- Das Biodapt-Knie
- Der Evolv-Kletterfuß
Videos zur Inspiration
- Ronnie Dickson: Das V10-Projekt
- Jarem Free, Craig DeMartino und Pete Davis: Gimp Monkeys
- Bjoern Eser: Paraclimb-Serie 2016
- Martin Heald und andere: Paraclimb Series 2016 Boulder Probleme
Beitrag von Björn Eser, der Gründer von und Macher hinter The Active Amputee.
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