Phantomschmerzen nach Amputation

Im Umgang mit Schmerzen muss jede*r seinen/ihren eigenen Weg finden (Bild mit dankbarer Genehmigung von Camila Quintero Franco).
Im Umgang mit Schmerzen muss jede*r seinen/ihren eigenen Weg finden (Bild mit dankbarer Genehmigung von Camila Quintero Franco).

Phantomschmerzen: Über den Umgang mit einem leider sehr häufigen Begleiter

Phantomscherzen sind leider etwas, dass viele Amputierte gut kennen und mehr oder weniger regelmäßig erleben. Und deswegen will ich mich heute ein wenig mehr mit eben diesem Phänomen beschäftigen. In diesem Artikeln findet ihr einen ersten Überblick über Theorien zur Entstehung von Phantomschmerzen einerseits als auch diverse Behandlungsansätze andererseits. Wer sich tiefer mit der Materie beschäftigen will, für den sind unten einige Links zu weiteren Artikeln zu finden.

 

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Als Phantomschmerzen werden schmerzhafte Empfindungen bezeichnet, die dort wahrgenommen werden, wo früher die amputierte Gliedmaße war. Es werden also vom Gehirn Schmerzen in einen Körperteil projiziert, der gar nicht mehr da ist. Im Unterschied zum Phantomschmerz werden bei Phantomsensationen keine Schmerzen, sondern andere Empfindungen wie ein Kribbeln oder das Gefühl, die Extremität sei noch vorhanden, wahrgenommen. Stumpfschmerzen hingegen äußern sich im Narbenbereich oder im Stumpf. Den Betroffenen fällt es oft schwer, diese Art von Schmerz klar vom Phantomscherzen abzugrenzen.

 

Das Alter bei Amputation scheint eine große Rolle dabei zu spielen, wie wahrscheinlich in der Folge Phantomschmerzen auftreten. Untersuchungen konnten zeigen, dass Menschen die im Erwachsenenalter eine Amputation erfahren, das höchste Risiko für das Erleben von Phantomschmerzen haben. Bei Kindern ist die Wahrscheinlichkeit deutlich geringer. Bei angeborenen Gliedmaßendifferenzen treten hingegen selten oder nie Phantomschmerzen auf. 

 

 

Wie entstehen Phantomschmerzen?

Wie genau Phantomscherzen entstehen, ist noch unklar. Die Ursachen scheinen hauptsächlich im Gehirn und im Rückenmark zu liegen. Nach einer Amputation kommen im Gehirn keine Informationen mehr aus der fehlenden Extremität an. Dennoch ist dieser Bereich des Körpers weiterhin im Gehirn repräsentiert. Zu den möglichen Erklärungen für die Entstehung von Phantomschmerzen zählen:

  • Das Gehirn reagiert auf die fehlenden Informationen aus der amputierten Gliedmaße mit dem ältesten Warnsignal, das es kennt: Schmerz als Zeichen für „Hier stimmt etwas nicht“.
  • Da Teile der Nervenbahnen, die früher Impulse aus der amputierten Extremität zum Gehirn weitergeleitet haben, nach wie vor vorhanden sind, kommt es zu Irritationen bei der Verarbeitung von Impulsen aus diesen Teilen der Nervenbahnen. Als Antwort sendet das Gehirn Schmerzimpulse.
  • Für jeden Körperteil des Menschen gibt es eine Art Abbildung im Gehirn. Nach einer Amputation ordnet das Gehirn den fehlenden Teil des Körpers einer Nachbarregion im Gehirn zu (Re- oder Umorganisation). So kann es sein, dass beispielsweise bei Berührung der Wange Schmerzen in der nicht mehr vorhandenen Hand ausgelöst werden.
  • Durch die bei der Amputation erfolgte Durchtrennung von Nerven in der Peripherie kann es zu einer erhöhten Impulsaktivität im Rückenmark kommen. Spontane Impulse und Schmerzsignale sind die Folge.
  • Durch ein überschießendes Wachstum an den durch die Amputation verletzten Nervenendigungen (sogenanntes Neurom) am Stumpfende können Impulsaktivitäten ausgelöst werden, die Schmerzen verursachen.
  • Durch das Schmerzgedächtnis im Gehirn kann es sein, dass bei Menschen, die vor der Amputation über längere Zeit Schmerzen in der amputierten Extremität hatten, diese auch nach der Amputation fortbestehen, weil das Gehirn weiterhin Schmerzsignale aussendet. Deshalb wird ein adäquates Schmerzmanagement vor der Amputation dringend empfohlen, um das Risiko für die Entstehung von Phantomschmerzen zu reduzieren.  

Weitere Risikofaktoren, die das Entstehen von Phantomschmerzen begünstigen oder eine Schmerzattacke auslösen können, sind Stress, depressive Zustände oder Ängste.

 

 

Welche Möglichkeiten gibt es, Phantomschmerzen zu begegnen?

Es gibt verschiedene Pfeiler der Behandlung von Phantomschmerzen. Medikamente sind einer davon. Verfahren, die versuchen, die Umorganisation im Gehirn rückgängig zu machen oder die Nerven gezielt zu stimulieren, ein anderer. Allgemeine Entspannungsverfahren ein dritter. Meist werden verschiedene Verfahren kombiniert, um den Betroffenen bestmögliche Linderung zu verschaffen.

 

Medikamente

  • Medikamente aus der Gruppe der nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR): Hierzu zählen die klassischen Schmerzmittel wie Ibuprofen oder Diclofenac.
  • Antidepressiva: Sie wirken gegen neuropathische (von Nerven verursachte) Schmerzen.
  • Antikonvulsiva (Medikamente gegen Krampfanfälle): Sie werden häufig mit Antidepressiva kombiniert.
  • Opioide: beispielsweise Morphin
  • Lokale Betäubungsmittel: zum Beispiel Lidocain 

Verfahren, die die Umorganisation im Gehirn beeinflussen oder rückgängig machen sollen

  • Spiegeltraining: Ein Spiegel wird so positioniert, dass die noch vorhandene, gesunde Extremität sich darin so spiegelt, dass der Eindruck entsteht, der amputierte Körperteil sei noch da. Wird nun die noch vorhandene Extremität bewegt, entsteht der Eindruck, der amputierte Körperteil würde sich bewegen. Dadurch finden im Gehirn erneut Umorganisationsprozesse statt. Phantomschmerzen können oft gelindert werden.
  • Visualisierungsübungen: Hier stellt sich der Betroffene vor, er würde die fehlende Extremität bewegen. Die Effekte sind vergleichbar mit denen der Spiegeltherapie.
  • Sensorisches Wahrnehmungstraining: Hierbei wird der Stumpf zum Beispiel durch Druckimpulse oder mit einem Igelball gereizt. Diese Reize sollen vom Betroffenen ganz bewusst wahrgenommen werden. Die Kombination aus bewusster Reizung und bewusster Wahrnehmung führt oft zu einer Minderung der Phantomschmerzen.
  • Myoelektrische Prothese: Bei dieser Art von Prothese hat der Träger die Möglichkeit, durch Muskelkontraktionen im verbliebenen Stumpf die Prothesenbewegungen über das Auslösen elektrischer Impulse zu steuern. Dieses Verfahren wird vor allem bei Arm- und Handprothesen eingesetzt. Die Hirnregion, in der der amputierte Körperteil repräsentiert ist, erhält wieder Signale aus der betroffenen Extremität. Reorganisation findet statt und Phantomschmerzen können sich zurückbilden.

Neuromodulation durch Nervenstimulation

Bei sehr starken und durch andere Verfahren nicht ausreichend zu beeinflussenden Phantomschmerzen können Verfahren zur Neuromodulation eingesetzt werden. Diese sind allerdings meist mit einem operativen Eingriff und der Implantation von Elektroden verbunden.

  • Repititive transkranielle Magnetstimulation (rTMS): Durch Stimulierung oder Hemmung bestimmter Hirnareale mit Hilfe von äußeren Magnetfeldern können Phantomschmerzen positiv beeinflusst werden. Dieses Verfahren erfordert keinen operativen Eingriff.
  • Rückenmarkstimulation (SCS): Bei diesem Verfahren wird eine Elektrode direkt über dem Rückenmark platziert. Über einen programmierten Stimulator, der unter der Haut eingebracht wird, wirken elektrische Impulse auf das Rückenmark und können Phantomschmerzen reduzieren.
  • tiefe Hirnstimulation (DBS): Hierbei werden Elektroden in bestimmte Hirnareale platziert und dann stimuliert.
  • Motokortexstimulation (MCS): Bei  diesem Verfahren wird bei einer Operation eine Elektrode auf dem motorischen Areal im Gehirn platziert und anschließend stimuliert. 

Weitere Möglichkeiten

  • Massagen 
  • Akupunktur
  • Transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS): Über Elektroden, die auf der Haut angebracht werden, werden die darunterliegenden Nerven stimuliert. Phantomschmerzen können reduziert werden.
  • Cannabis-Präparate: CBD und THC werden in den letzten Jahren auch bei chronischen Schmerzen angewendet. Vernebelt als reine Blüten, in Tropfen- oder Kapselform können sie auch bei Phantomschmerzen Linderung bringen. Medizinische Präparate müssen vom Arzt verordnet werden. Es gibt aber auch frei verkäufliche CBD-Öle zur Einnahme oder zur Massage des Stumpfes.
  • Hypnose: Verschiedene Methoden der Hypnosetherapie können chronische Schmerzen günstig beeinflussen. Hier muss im Einzelfall mit dem Hypnosetherapeuten besprochen werden, was sinnvoll ist. 
  • Biofeedback: Beim Biofeedback-Verfahren werden Elektroden an der Haut des Stumpfes angebracht, die die Körpertemperatur messen und melden. Der Betroffene versucht nun, seine Körpertemperatur zu senken. Studien konnten zeigen, dass sich dadurch oft auch der Level der Phantomschmerzen senken lässt. 
  • Allgemeine Entspannungsverfahren wie Meditation, Achtsamkeitstraining und viele andere: All diese Verfahren haben Einfluss auf den allgemeinen Erregungszustand im Körper. Kann dieser gesenkt werden, werden meist auch die Schmerzen gelindert. 

 

 

Quellen und weitere Lektüre

 

 

Der Artikel Als Podcast

Anmerkung: Das Bild stammt von Camila Quintero Franco. Danke für die Genehmigung dieses tollen Photos hier auf dem Blog (Camila Quintero Franco on Unsplash).

Gastbeitrag von Nina Eser. Nina verfügt über eine langjährige Erfahrung als Physiotherapeutin in verschiedenen Fachbereichen. Sie hat ein Bachelorstudium der Psychologie absolviert und arbeitet seit einiger Zeit als freie Autorin und Medizinredakteurin. Das Thema Amputation liegt ihr besonders am Herzen.

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