Wo geht die Reise hin in der Prothetik?

Froh und glücklich mit ihrer Osseointegration: Pietske aus Holland (Bild mit dankbarer Genehmigung von Pietske Hannema).Immer neue Entwicklungen lassen die Grenze zwischen Mensch und Maschine immer mehr Verschwimmen.
Immer neue Entwicklungen lassen die Grenze zwischen Mensch und Maschine immer mehr Verschwimmen.

Technisches Körperersatzteil oder Teil des Körpers?

Früher hatten Prothesen für Arm- oder Beinamputierte rein passive Funktionen. Am Arm dienten sie oft der Kosmetik. Am Bein machten sie ein humpelndes Gehen möglich, kombiniert mit einer Ver- oder Entriegelung am Kniegelenk auch das Sitzen mit angewinkeltem Bein. Im Laufe der Jahre wurden immer hochtechnologisiertere Prothesen entwickelt. Auch solche, die über eingebaute Mikroprozessoren gesteuert werden und sich beispielsweise auf verschiedene Gehgeschwindigkeiten einstellen können oder ein alternierendes Treppabgehen für Oberschenkelamputierte ermöglichten. Moderne künstliche Kniegelenke bieten heute die Möglichkeit, Treppen auch im Wechselschritt hinaufgehen zu können, rückwärts zu gehen und sorgen für ein annähernd natürliches Gangbild. Die Entwicklungen der letzten Jahre lassen auf weitere bahnbrechende Fortschritte hoffen. Aber wo wird die Reise hingehen?

 

Was ist möglich bei der Prothesenversorgung und welche Zukunftsperspektiven gibt es?

Ein Pionier in der Entwicklung solch bionischer Prothesen war Hugh Herr. Selbst beidseitig unterschenkelamputiert, war es sein Ziel, Prothesen zu entwickeln, mit denen eine bestmögliche natürliche Bewegung möglich ist. Durch die Berechnung von Algorithmen aus Gehexperimenten mit Nichtamputierten konnten Mikroprozessoren programmiert werden, die Bewegungsabläufe in künstlichen Knie- oder Sprunggelenken steuern. Sie können unmittelbar auf Geschwindigkeitsänderungen beim Gehen oder wechselnde Beschaffenheiten des Untergrundes reagieren. Diese bionischen Prothesen stellen das Zusammenspiel von Biologie und Technik dar und streben nach der bestmöglichen Verbindung von Elektronik, Mechanik, biologischen Abläufen und medizinischem Wissen.

 

Genutzt werden Sensoren und Motoren, die über eine eigene Intelligenz verfügen. Die bionische Prothese ersetzt durch die Amputation verlorene Muskelfunktionen, indem Energie in den Bewegungsvorgang eingebracht wird. Klassische Prothesen wurden allein über die Kraft der verbliebenen Muskeln gesteuert. Gerade für Oberschenkelamputierte reduziert sich die Sturzgefahr durch die Möglichkeiten bionischer Prothesen enorm. Für Unterschenkelamputierte ist der Umstieg auf Prothesen mit bionischen Sprunggelenken oft mit einem Wow-Effekt verbunden. Die Gewöhnung erfolgt sehr schnell und viele haben das Gefühl, durch die Möglichkeiten der neuen Prothese ihr Leben wieder zurückzubekommen. 

 

 

Weiterentwicklung von Handprothesen durch die Nutzung von Elektroden

Durch die Nutzung von Elektroden, die über die Haut die elektrische Spannung aus der darunterliegenden Muskulatur aufnehmen, wurde eine ganz neue Art der prothetischen Versorgung von Armamputierten möglich. So können heute mit Hilfe von Elektroden, die im Prothesenschaft eingearbeitet sind, die einzelnen Finger einer Handprothese gesteuert werden (sogenannte myoelektrische Prothesen). Dabei werden die gemessenen Spannungen aus der Muskulatur in einem Mikroprozessor umgewandelt und leiten bestimmte Bewegungsbefehle an die Handprothese weiter. Das bedeutet, dass über die im Stumpf noch vorhandene Muskulatur Fingerbewegungen initiiert werden können. Es erfordert eine längere Zeit der Übung, geht aber nach einiger Zeit ins Körperschema des Nutzers oder der Nutzerin über. Dann laufen Bewegungen der Prothese quasi automatisiert ab, wenn der Träger oder die Trägerin an die Bewegung denkt. 

 

Die Esper Hand zum Beispiel ist die erste myoelektrische Prothese, die lernfähig ist. Ihre Bewegungsmöglichkeiten verbessern sich durch Übung. Bewegungsausführungen werden exakter und schneller. Die Technik ist in der Lage, Bewegungssituationen zu identifizieren und einen dazu passenden Griff der Prothesenhand vorherzugeben. Zudem hat die Hand ein ansprechendes ästhetisches Design.

  

Die neuesten Entwicklungen in der Handprothetik zielen darauf ab, Sinneserfahrungen vermitteln zu können und somit den Tastsinn teilweise wieder herzustellen. Dafür werden Elektroden in die Muskulatur und an die Armnerven implantiert. Wenn der Prothesenträger mit der künstlichen Hand einen Gegenstand berührt, nehmen Sensoren das wahr. Die aufgenommenen Informationen werden in Nervenimpulse umgewandelt und an die implantierten Elektroden weitergeleitet. Diese Impulse gehen über das Nervensystem und das Rückenmark weiter an das Gehirn und werden dort als Sinneserfahrung wahrgenommen. Der Prothesenträger/die Prothesenträgerin kann wieder spüren, ob der berührte Gegenstand hart oder weich, eckig oder rund ist. Auch Bewegung wird wieder im Körper gespürt und nicht nur gesehen. 

 

 

Elektroden zur Steuerung von Beinprothesen

Bislang ist keine myoelektrisch gesteuerte Beinprothese auf dem Markt. Gerade bei Oberflächenelektroden gibt es hier größere Herausforderungen zu meistern als bei Handprothesen. Schweiß und die größeren Kräfte, die im Prothesenschaft wirken, haben einen Einfluss auf die exakte Position der Elektroden und damit auch auf die Aufzeichnung der Muskelimpulse. Implantierte Elektroden scheinen ein größeres Potenzial bei der Entwicklung myoelektrische Beinprothesen zu haben als Oberflächenelektroden. Die Firma Össur forscht und entwickelt hier gemeinsam mit der Alfred Mann Foundation in den USA.

  

 

Ein Blick in die Zukunft

Ein weiteres Forschungsziel ist es, Prothesen oder Roboterarme durch die Kraft der Gedanken steuern zu können, also eine Verbindung zwischen Gehirn und Maschine zu ermöglichen. Dazu müssen allerdings Elektroden im Gehirn implantiert werden. Hier ist noch weitere Forschung nötig, um die damit verbundenen Risiken zu minimieren. Gerade für Menschen mit Rückenmarksverletzungen oder Rückenmarkserkrankungen würden hier ganz neue Möglichkeiten entstehen. Künstliche neuronale Netzwerke könnten die Rückenmarksfunktion ersetzen und Bewegungen initiieren. Dafür müssen die elektrischen Impulse der Nervenbahnen entschlüsselt werden, die die Bewegung von Armen und Beinen ermöglichen.

 

Eine Neuentwicklung im Bereich der Oberschenkelprothetik, die noch einige Jahre bis zur Marktreife benötigen wird, ist das Utah Bionic Leg. Die Weiterentwicklung wird seit Anfang 2022 von Ottobock gefördert. Neben einem bionischen Knie- und Fußgelenk besitzt es eine bionische Großzehe. Diese bringt enorme Vorteile für das Gleichgewicht des Nutzers/der Nutzerin. Das Gehen auf unterschiedlichem Gelände, das Treppensteigen, die Anpassung an Steigungen oder schiefe Ebenen wird nach Aussage der Entwickler leichter sein als bei allen bisherigen verfügbaren Produkten. Außerdem wiegt die Prothese selbst weniger als viele andere auf dem Markt, was den Tragekomfort ebenfalls erhöhen wird.   

 

Bei den künstlichen Sprunggelenken arbeiten Forscher*innen und Entwickler*innen an einem Gelenk mit zwei Freiheitsgraden. Es könnte Unterschenkelamputierten ganz neue Möglichkeiten beim Klettern bieten. Eine präzise Positionskontrolle des Fußes und eine Anpassung der Fußausrichtung an verschiedene Griffe oder Tritte wären dann möglich.

 

Je mehr die Möglichkeiten einer Prothese denen der verlorenen Gliedmaße ähneln und nahekommen, desto eher wird der/die Nutzer*in seine/ihre Prothese nicht mehr als künstliches Körperersatzteil empfinden, sondern als Teil des eigenen Körpers. 

 

 

Quellen Und Weitere Lektüre

 

 

Gastbeitrag von Nina Eser. Nina verfügt über eine langjährige Erfahrung als Physiotherapeutin in verschiedenen Fachbereichen. Sie hat ein Bachelorstudium der Psychologie absolviert und arbeitet seit einiger Zeit als freie Autorin und Medizinredakteurin. Das Thema Amputation liegt ihr besonders am Herzen.

Further Reading

Dealing with volume fluctuations

 

Here is a problem many active above knee amputees know all too well. A problem that is often overlooked as more and more attention is given to the newest developments around high-tech knees and other exciting advancements in the prosthetic sector. It’s the problem of a proper fit of the socket. It’s the key to using your prosthetic leg to its full potential. And how to deal with fluctuations in the volume of your residual limb - and thus with the fit of your socket. Read more

 

USB charging device

 

Yes, finally it’s out. The USB charging device from OttoBock to charge its microprocessor knees. This is something I have been waiting for for a long time. And looking back at the last 20odd years, this device will be up there among the few items which really broke new grounds for active amputees. After the introduction of microprocessor knees and the first fully waterproof microprocessor devices this charger is another big step to be fully independent. Read more