Vorbereitung auf eine Reise mit Prothese
Sommerzeit ist Reisezeit. Und während sich rundum viele auf den Urlaub freuen, mischen sich bei dem ein oder der anderen Prothesenträger*in Ängste und Sorgen in die Vorfreude. Denn das Reisen mit Prothese kann gerade für Leute, die erst kürzlich amputiert wurden oder zum ersten Mal mit Prothese verreisen verunsichern und manchmal sogar Angst einflößen. Aber - und hier die guten Nachricht - das muss nicht so sein. Mit etwas Vorbereitung, der entsprechenden Planung und ein paar Tips aus der community ist jede Reise auch mit Prothese gut zu schaffen und kann genossen und ein bleibendes Erlebnis werden.
Hier also meine ganz persönlichen Tips für die Vorbereitung deiner nächsten Reise. Egal, ob es nur übers Wochenende in ein nettes Hotel in einer nahegelegenen Stadt, zu einem Camping-Urlaub irgendwo in Europa, oder auf ein größeres Abenteuer halb um dem Globus geht, viele der folgenden Tips sind allgemeingültig. Und auch für die erfahrenen Globetrotter*innen unter euch ist eventuell noch die ein oder andere neue Idee dabei.
Einige Wochen vor der Reise
Es gibt eine Reihe von Punkten, über die sich - besonders unerfahrene - Reisende mit Prothese bereits einige Zeit vor dem eigentlichen Reiseantritt Gedanken machen sollten. Denn meiner Erfahrung nach hilft eine gute Vorbereitung Stress aus den Reisetagen zu nehmen, und so die Tour entspannt anzugehen und zu genießen.
- Ein in meinen Augen wichtiger Teil der Vorbereitung ist, möglichst genau zu wissen, was mich auf der Reise erwarten wird - besonders bei langen/Fernreisen. Wenn ich eine gute Idee habe, was mich auf der Reise erwartet, kann ich sie gedanklich einmal durchspielen, mögliche Hindernisse und Herausforderungen identifizieren und mir überlegen, wie ich mit eben diesen Hinternissen und Herausforderungen umgehen will.
- Egal, um welche Art von Reise es sich handelt: Generell ist es gut sicherzustellen, dass du einen Prothesenpass hast, also ein Dokument, aus dem hervorgeht, dass du Prothesenträger*in bist, welches Modell du nutzt, sowie einige andere Daten zum Hilfsmittel. Ein solches Dokument kann bei den Sicherheitschecks am Flughafen oder bei manchen Zügen (wie zum Beispiel dem Eurostar) helfen. Ich persönlich habe den Pass erst einmalgebraucht, da war er aber wirklich hilfreich.
- Gleiches gilt für weitere Dokumente seitens deines/deiner Technikers/Technikerin oder Arztes/Ärztin, solltest du andere Hilfsmittel oder bestimmte Medikamente mitführen.
- Hier noch ein Hinweis: Bei der Mitnahme von Schmerzmitteln bitte immer prüfen, ob im Reiseland die entsprechenden Inhaltsstoffe legal sind. Sollte dem nicht so sein, dann hilft auch kein ärztliches Dokument. Das ist vor allem für THC/CBD Öle und ähnliche Präparate wichtig.
- Sollte ein Flug Teil der Reise sein, frühzeitig bei der Fluglinie, dem Reiseveranstalter, oder dem entsprechen Flughafen erkundigen, welche Assistenz zu haben ist und ein entsprechenden Bedarf gegebenenfalls anmelden. Frühes Boarding, einen Gangplatz mit leichterem Ein- und Ausstieg, Hilfe bei Maschinen, die Auf dem Vorfeld stehen und nicht direkt über eine Gangway erreicht werden sind nur einige der Möglichkeiten, bei denen du Unterstützung anfordern kannst.
- Zudem ist es in meinen Augen hilfreich, sich über die genutzten Flughäfen der Reise zu informieren (besonders eventuelle Transit-Flughäfen). An einigen Orten sind die Wege zwischen Gates oder Terminals lang (manchmal extrem lang). Das kann einige Prothesenträger*innen vor Probleme stellen. Genügend Zeit einzuplanen ist nur ein Aspekt. Die von den meisten Flughäfen angebotenen Services für Passagiere mit eingeschränkter Mobilität zu nutzten ein anderer. Hier ist es gut, diese Services früh zu buchen (oder sich zumindest über diese zu informieren).
- Zudem ist es in manchen Ländern/bei manchen Flughäfen möglich, sich für die Sicherheitchecks anzumelden. Die US-amerikanische Transport Security Administration hat zum Beispiel einen solchen Service.
- Sicherheitschecks sind meiner Erfahrung nach einer der Punkte, der vielen Prothesenträger*innen Angst bereitet. Und die Erfahrungsbandbreite ist groß: Von komplett unproblematisch bis hin zu entwürdigend und unverschämt. Da wohl alle Prothesen den Sicherheitsalarm auslösen, werden wir meist gesondert gecheckt. Daher hier bitte genug Zeit einplanen. Und mental schon mal entspannen. Theoretisch haben Menschen mit Behinderungen Anrecht darauf, in einem privaten Bereich untersucht zu werden. Gerade an vielen kleineren Flughäfen in Ländern des Globalen Südens ist dies dann aber selten der Fall. Bei Bedenken, ruhig im Vorfeld den Austausch mit anderen Reisenden suchen und sich informieren.
- Ein weiterer Punkt ist das Gepäck. Hier ist es schwer, eine generelle Aussage zu machen. Aber manche unserer Dinge - zusätzliche Badeprothese oder dergleichen - werden oft als Sperrgepäck aufgegeben. Zudem können Gehstützen zum Beispiel oft als medizinisches Sondergepäck mitgenommen werden. Auch hier: Einfach bei der Fluggesellschaft nachfragen.
- Viele dieser Punkte gelten auch bei Bahnreisen - und sind für viele gerade in der Mobilität sehr eingeschränkte Prothesenträger*innen noch wichtiger. Sehr viele Bahnhöfe sind nicht behindertengerecht; viele Gleise sind nur über Treppen zu erreichen. Auch hier gilt: Die Reise vorher einmal gedanklich durchspielen, eventuelle Stolpersteine identifizieren und bereits im Vorhinein an Bewältigungsstrategien basteln. Und auch hier: Stets genug Zeit einplanen.
- Egal, ob du mit dem Flugzeug, der Bahn, oder einem Reisebus unterwegs bist: Vielen von uns fällt das lange sitzen auf meist engen Sitzen schwer. Manchmal helfen bereits kleine Kissen oder ähnliches, um angenehmer und Beschwerde-freier zu sitzen. Bei manchen von uns stell sich die Frage, ob die Prothese eventuell ausgezogen werden kann/will. Hier ist gerade bei Flugriesen zu bedenken, dann der Stumpf eventuell ungewohnt reagiert; zum Beispiel an Volumen zunimmt. Es kann sein, dass ein Anziehen der Prothese kurz vor der Landung dann sehr schwer wird. Daher an die Mitnahme eines Kompressionsstrumpfes oder eines Liners denken.
- Auch ist es wichtig zu wissen, dass für viele von uns die super engen Toiletten in Flugzeugen oder Reisebussen eine echte Herausforderung sind.
- Mit diesen Tips zur Vorbereitung der Anreise, will ich jetzt ein paar Punkte in Sachen Unterkunft ansprechen. Wer auf eine Unterkunft angewiesen ist, die den Bedürfnissen von Menschen mit Behinderung gerecht wird, der/die sucht eh bestimmt gezielt danach. Hier ist es ratsam, die Bedürfnisse gegenüber dem Hotel, der Pension etc. So genau wie möglich zu benennen und sich diese bestätigen zu lassen. Nicht alle verstehen unter ‚behindertengerechtem Zimmer‘ oder ‚leicht zugänglichen Sanitäranlagen‘ das gleiche.
- Mittlerweile gibt es auch mehr und mehr Apps, die sich dieses Themas angenommen haben. Zudem sind crowdsourcedInfoseiten eine immer beliebtere und oft sehr zuverlässige Möglichkeit, hier gezielt zu suchen und gute Urlaubsziele und die entsprechenden Unterkünfte und andere Infrastruktur zu finden. (zum Beispiel https://www.iaccess.life und https://lifehacker.com/flush-toilet-finder-quickly-locates-a-public-restroom-w-1680492140 oder auch der https://www.mainetrailfinder.com)
- Aber nicht nur in Sachen Unterkunft selbst, sondern auch mit Blick auf eventuell benötigte Hilfsmittel vor Ort ist es gut, klar zu kommunizieren (und gegebenenfalls Dinge selbst mitzubringen). Allem voran ist hier für uns Amputierte wohl der Duschhocker.
- Sollte es in entferntere Regionen gehen, in den die Stromversorgung ein Problem sein könnte, dann ist es auf jeden Fall ratsam, sich genau zu informieren und eventuelle Vorkehrungen im Sinne eines Überspannungsschutzes für das Ladegerät zu sorgen - oder wenn möglich immer aus einer Powerbank laden. Die modernen Mikroprozessor-Prothesen sind gegenüber einer Überspannung sehr anfällig.
- Zudem sind viele moderne Prothesen nicht wasserfest - was in tropischen Regionen ein Problem sein kann. Schnell is eine Straße auch innerhalb einer Stadt nach einem Regen überflutet. Da hilft es, stets einen leichten wasserdichten Sack (wie ihn Kajak-Fahrer*innen nutzen) dabei zu haben. Der kann bei Bedarf schnell über die Prothese gezogen werden.
- So, nun wechseln wir den Focus. Ab jetzt geht es mehr um uns uns unsere Prothese.
- Vor jeder Reise bitte rechtzeitig schauen, dass dein Stumpf okay ist. Reisen und die damit oft verbundenen Stressfaktoren für den Körper wie das Fliegen als solches, langes sitzen im Auto oder Zug oder Bus, ungewohnte Temperaturen, ungewohnte Luftfeuchte, anderes Essen und die Auswirkungen auf den Körper, Schlafmangel in anderen Zeitzonen etc. wirken sich oft auch auf den Stumpf aus. Je besser der Stumpf vor der Reise gepflegt ist, desto geringer sind die Chances, mit ernsthaften Problemen konfrontiert zu werden. Dennoch sollte jede*r auf die ganz persönlichen Bedürfnisse hin abgezielt einige Mittel mitführen, um mit eventuellen Hautproblemen, kleineren Wundern, vermehrtem Schwitzen und dergleichen umgehen zu können.
- Gleiches gilt für die Prothese. Am besten vor der Reise noch mal vom Techniker/der Technikerin durchsehen lassen und das ein oder andere Ersatzteil mitnehmen. Allem voran stehen hier ein Ersatzventil, Liner, Dichtlippe, Socken, sowie Klebeband und eine kleine Tube Silikon. Hier kann der Techniker/die Technikerin besser helfen als ich und viel gezielter beraten.
- Geht es in entlegenere Regionen oder bist du länger unterwegs, finde ich es immer hilfreich, eine eventuelle orthopädietechnische Versorgung vor Ort zu erkunden. Hier bieten mittlerweile mehr und mehr Hersteller von Prothesen einen entsprechenden Service an. Oft können sie dir sagen, in welchen Ländern du gegebenenfalls fachliche Hilfe erwarten kannst - und in welchen eher nicht.
Das klingt jetzt nach sehr vielen Punkten, die Menschen mit Amputation eventuell vor einer Reise klären müssen. Aber vieles davon ist schell gemacht, machen trifft nur auf Fernreisen zu, und anderes ist der jeweils persönlichen Vorliebe von einzelnen Reisenden geschuldet. Lasst euch davon nicht abschrecken.
Wer sich noch weiter einlesen oder weitere Checklisten einsehen will, der findet unter anderem auf der OttoBock homepage eine Vielzahl guter Informationen (und zwar hier)
In der Woche vor der Reise
So, jetzt kommt der Reisebeginn langsam näher. Vieles von dem, was ich so etwa eine Woche vor Antritt meiner Reise mache, ergibt sich logisch auf den oben-genannten Punkten.
- Kümmere dich um die Anmeldung der benötigten Assistenz am Flughafen, bei der Fluglinie oder der Bahn.
- Überleg dir, welche Kleindung du für die Reise anziehen willst. Besonders bei langem Sitzen im Flugzeug, in der Bahn oder in einem Bus kann es sein, dass der Sitz der Prothese schnell nicht mehr ideal ist und du nach dem Aufstehen nachbessern musst. Dabei hilft lose Kleidung.
- Ebenso macht es lose Kleindung einfacher, die Prothese beim Sicherheitscheck zu zeigen. Ähnliches gilt für leicht an- und auszuziehende Schuhe.
- Stell dir eine kleine Tasche fürs Handgepäck mit Ersatzventil, Lotion, eventuell Blasenpflaster und anderen Dingen, die mir auf langen Reisen helfen zusammen.
- Wenn du eventuell ein Kissen oder andere Unterstützung für ein besseres Sitzen im Flugzeug oder Bus mitnehmen willst, leg das auch schon mal bereit.
- Stell sicher, dass du die für deine Reise relevante/n Stecker-Adapter bereitliegen hast.
- Wenn vorhanden, dann kann hier auch schon mal das USB-Ladegerät und eine volle Powerbank rein.
- Wenn du dazu neigst, dich zu stressen und in neuen und ungewohnten Situationen sehr aufgeregt zu sein, überlegt dir, welche Musik oder welches Buch/Hörbuch dir hilft, ruhig zu bleiben/zu werden. Leg dies bereit und greife auf der Tour/dem Flug/der Bahnfahrt etc. Darauf zurück.
Am Tag vor der Reise
So, nun ist es so weit. Es geht bald los. Und wenn du die für dich relevanten Punkte der oben-genannten Listen gemacht hast, dann gibt es Tag vor der Reise nicht viel zu tun (jedenfalls nichts, was über die normale Vorbereitung von Leuten ohne Behinderung hinaus geht).
- Falls du eine Prothese hast, die auf Elektrizität angewiesen ist, lade sie komplett auf (und damit der Akku länger hält, lassen sich einige Prothesen bei langen Reisen auch in einen Tiefschlafmodus versetzen).
Am Tag der Reise
- Mit genug Zeit starten und damit unerwarteten Verzögerungen keine Change geben, direkt in Stress auszuarten.
- Stellen am Stumpf, die eventuell durch langes Sitzen besonders in Mitleidenschaft gezogen werden, ankleben oder mit Melkfett/Lotion einreiben.
- Von Anfang an entspannen, genießen, nicht aus der Ruhe bringen lassen.
- Unerwarteten Situationen mit Gelassenheit und Kreativität begegnen.
- Wenn nötig, ruhig um Hilfe fragen und angebotene Hilfe auch gerne annehmen.
- Sich für die nächste Reise merken, was funktioniert und ist hilfreich und was willst du das nächste Mal anders machen.
- Lass es dir gutgehen und genieß die Tour - und wenn es doch mal nicht so läuft, schmunzeln, entspannen und erst einmal durchatmen. Mit Gelassenheit und Kreativität lassen sich die meisten Herausforderungen, die Menschen mit Behinderungen Bein Reisen erleben, gut überwinden.
Und wie macht ihr das?
So, ich hoffe, die recht ausführliche Liste hilft euch, euch auf die nächste Reise vorzubereiten. Zudem würde ich mich freuen, von euch zu hören, welche weiteren Tips ihr habt, wenn es ums Thema Vorbereitung von Reisen mit Behinderungen geht.
Beitrag von Bjoern Eser, dem Gründer von und Macher hinter The Active Amputee. Dieser Beitrag wurde im Original im Sommer 2022 für OttoBocks movao-Seite geschrieben und auch dort erstmals veröffentlicht.