Sportprothesen Für Jedermensch
Auf diesem Blog widme ich mich periodisch dem Thema Sportprothesen. Und auch wenn sich in diesem Bereich in den letzten Jahren viel getan hat, so haben leider noch immer viel zu wenige Menschen mit Amputationen Zugang zu diesen Prothesen. Für die meisten von uns sind sie schlichtweg nicht erschwinglich. Daher horche ich immer auf, wenn ein*e neue*r Spieler*in auf dem Markt antritt, um sich eben dieses Problems anzunehmen. Eine dieser neuen Firmen ist steptics. Und heute habe ich das Vergnügen mit Toni Padilla, einem der Mitbegründer von steptics zu sprechen. Toni ist 34 Jahre alt und kümmert sich bei steptics um Marketing, um den Vertrieb und die Finanzen.
Ineffiziente Prozesse Lösen Kein Massenproblem
Björn: Sportprothesen für Jedermensch, das ist euer Ziel: Wer kam wann auf diese Idee? Und warum? Wo kommt der Bezug zum Leben von Amputierten her?
Toni: Dort muss ich ein wenig weiter ausholen. Mein Mitgründer Daniel und ich haben uns viele Jahre mit der automatisierten Herstellung von Faserverbundwerkstoffen in der Automobilindustrie beschäftigt. Dort ist neben den hohen Qualitäten der Preis entscheidend. Es kommen hochautomatisierte Produktionsverfahren zum Einsatz, die am Ende enorme Kosteneinsparungen ermöglichen.
Als Vollblutingenieur hat Daniel schon immer nach Potentialen dieser Technologien in anderen Branchen Ausschau gehalten. Dabei stieß er innerhalb der Medizintechnik auf die Möglichkeit der automatisierten Herstellung von faserverstärkten Fußprothesen, basierend auf etablierten Produktionsverfahren der Automobilindustrie und damit weg von den derzeitigen aufwendigen und manuellen Prozessen innerhalb der Branche. Nach der Patentanmeldung und weiteren Recherchen haben wir für die Idee gebrannt, zukünftig nicht den nächsten Sportwagen ein paar Gramm leichter zu machen, sondern faserverstärkte Fußprothesen in hohen Qualitäten zu erschwinglichen Preisen zu produzieren, diesen Kostenvorteil weiterzugeben und damit einen echten Beitrag zu leisten.
Zu Beginn fehlte uns der direkte Bezug zu den Herausforderungen von Amputierten und der Branche insgesamt. Wir haben daher viele Gespräch geführt und wissen nun, dass mit abnehmender finanzieller Erstattung von Prothesen durch das Krankenkassensystem die Relevanz unseres Werteversprechens steigt. Die Relevanz steigt weiter, wenn man neben Deutschland auf andere Länder blickt und erlebt ein Maximum in Entwicklungs- und Schwellenländern. Wir haben daraufhin unsere Jobs gekündigt und sind nun dabei, unsere Vision in die Realität umzusetzen.
Björn: Eure Firma ist jung und kommt bald mit dem ersten Produkt auf den Markt: Wer steckt hinter der Firma und auf welches Produkt können wir uns freuen?
Toni: Unsere Vision ist es, weltweit Menschen Zugang zu faserverstärkten Fußprothesen zu ermöglichen. Wir verfolgen zwei Strategien: Zum einen sind wir Technologiegeber für etablierte Prothesenhersteller, die mithilfe unseres Know-hows bestehende oder neue Fußprothesenprojekte umsetzen, um damit neue Märkte mit hochwertigen und erschwinglichen Prothesen zu erschließen. Zum anderen wollen wir eigene Prothesen entwickeln, bei denen hohen Qualitäten zu erschwinglichen Preisen für den Kunden entscheidend sind.
Starten werden wir mit einer Sportprothese, mit der Amputierte den Weg zurück zu sportlichen Aktivitäten finden und für jeden bezahlbar sein soll. Die Möglichkeit, Sport zu treiben, steigert nicht nur das Wohlbefinden und Selbstbewusstsein, sondern ermöglicht auch eine aktive Teilnahme am gesellschaftlichen Leben, was jedem Menschen möglich sein sollte.
Björn: Im Bereich der Sportprothetik hat sich in den letzten Jahren - besonders seit den paralympischen Spielen 2012 in London - sehr viel getan. Neben den großen Spielern wie Ottobock und Össur sind seit ein paar Jahren auch kleine und sehr innovative Firmen dabei und mischen den Markt auf. Seit gut drei Jahren ist zum Beispiel Levitate sehr aktiv und mischt den Markt auf. Wie platziert ihr euch in diesem Umfeld? Und was unterscheidet euch von den anderen? Was macht euer Produkt für die Anwender*innen besonders interessant?
Toni: Wir freuen uns sehr zu sehen, wie sich die Sportprothetik in den letzten Jahren entwickelt hat und würden uns zukünftig gerne in die Kette der innovativen Firmen einreihen. Vor allem als Faserverbundexperten macht es Spaß, das Material in seiner idealen Einsatzmöglichkeit mit der perfekten Kombination aus Widerstandfähigkeit und Gewicht in einer Fußprothese zu sehen.
Wie bei so vielen Produkten wird in der ersten Phase großer Fokus auf die Eigenschaften und das Produkt selbst gelegt, die Produktionsprozesse werden dabei oft erst einmal vernachlässigt, was am Ende zu guten Produkten mit jedoch hohen Preisen führt. Wir legen den Fokus auf die Produktionsprozesse, wobei Qualitäten und Eigenschaften der Prothesen unberührt bleiben. Damit wollen wir mehr Menschen eine Teilhabe an diesen tollen Entwicklungen innerhalb der (Sport-) Prothetik bieten. Das bedeutet, dass wir gleiche Eigenschaften der heutigen Sportprothesen anbieten werden. Dennoch haben wir aufgrund von unterschiedlichen Prozessschritten hin zur fertigen Prothese den Vorteil, dass wir die finalen Eigenschaften in Bezug auf die Steifigkeit erst im allerletzten Prozessschritt einstellen. Damit haben unsere Kunden die Möglichkeit, eine Sportprothese auf ihre ganz individuellen Eigenschaften von uns fertigen zu lassen - Im Englischen würden man von einer „Mass Customization“ sprechen. Uns ist wichtig, dass wir einen engen Kontakt zu unserem Hersteller und kurze Lieferwege haben. Daher findet die Produktion der Prothesen ausschließlich in Deutschland statt.
Björn: Ab wann denkst du, dass das neue Produkt zu haben ist? Und wo können Interessierte eventuell schon im Vorfeld mehr darüber erfahren?
Toni: Die Sportprothese befindet sich derzeit in der Zertifizierungsphase und in den Startlöchern für die ersten Kundentests vor unserem offiziellen Marktstart noch innerhalb dieses Jahres. Zur Prothese selbst gehört eine Sohle, die wir in den nächsten Wochen vorstellen werden. Zudem wird der Konfigurator zur Erstellung der individuellen Prothese auf unserer Webseite bald online gehen. Im ersten Schritt kann hierüber die eigene Prothese virtuell erstellt und anschließend vorbestellt werden. Das Kundenfeedback ist für uns essentiell - Wer daher vorab an ersten Tests interessiert ist, kann uns sehr gerne kontaktieren.
Björn: Schauen wir mal ein wenig in die Zukunft: Wo sehr ihr euch in - sagen wir - fünf Jahren? Und welcher Herausforderung im Bereich der Prothetik/Versorgung von Amputierten wollt ihr euch in Zukunft stellen? Irgendwelche spannenden Entwicklungen, die bereits spruchreif sind?
Toni: Ziel ist es, immer mehr Herstellen mit Hilfe unserer Technologien aufzuzeigen, wie der Konflikt zwischen hoher Qualität, Made-in-Germany, und erschwinglichen Preisen in der Prothetik gelöst werden und damit mehr Menschen, auch in unterschiedlichen Ländern, zugänglich gemacht werden kann. Unsere Prothese wollen wir zeitgleich weiterentwickeln, unser Portfolio erweitern und natürlich ebenfalls einem immer breiten Publikum zugänglich machen. Wir glauben, dass die Nachfrage nach qualitativ hochwertigen endlosfaserverstärkten Fußprothesen in der Zukunft immer weiter steigen wird. Eine aktuelle Marktanalyse zeigt, dass das wesentliche Hindernis für das Wachstum des Marktes, insbesondere in den Schwellenländern, die hohen Kosten dieser Hilfsmittel sind, die dem wachsenden Bedarf an wirksamen Prothesen für die Patientenversorgung nicht gerecht werden.
Zudem arbeiten wir zusammen mit der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) innerhalb eines Forschungsvorhabens an der Materialsubstitution von derzeit energieintensiven Fasern und erdölbasierten Harzen mit Naturfasern sowie biobasierten Harzen, um damit zukünftig nicht nur bezahlbare und qualitativ hochwertige, sondern auch umweltverträglichere Fußprothesen anbieten zu können.
Björn: Ich danke dir für dieses Gespräch und wünsche euch alles Gute für die Zukunft. Und wir sehen uns auf der OT World im Mai in Leipzig.
Beitrag von Bjoern Eser, dem Gründer von und Macher hinter The Active Amputee.
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