Open Ocean e.V. - Wellenreiten für alle
Vor ein paar Monaten gab es hier auf dem Blog einen Filmtip. Ich hatte tags zuvor den Dokumentarfilm 'Open Ocean' - hier ist der Link zu meinem Artikel aus dem April 2024 - gesehen und war begeistert. Ein Film übers Surfen. Ein Film voller Optimismus und Lebensmut. Ein Film, der mich erstmals auf den Verein aufmerksam machte, der in diesem Film im Mittelpunkt stand. Und daher möchte ich euch heute eben diesen Verein etwas näher vorstellen.
Und es geht doch!
„Die Frage ist nicht ‚Was geht nicht mehr?‘, sondern ‚Was geht noch?‘ – und das ist eine ganze Menge!“ Martin sitzt in einem Strandrolli und schält sich mühsam aus seinem Neoprenanzug. Er ist gerade vom Wellenreiten aus dem Wasser gekommen und strahlt. Der Mann, der aufgrund eines Querschnitts weder stehen noch gehen kann, ist ‚stoked‘ – so nennen die Surfer*innen die Begeisterung, die so offensichtlich in den Augen leuchtet. „Ich hab’ heute drei Wellen gekriegt. Das war viel Arbeit, aber die waren richtig gut!“
Kann mensch mit Behinderung wirklich surfen?
Wie soll das denn funktionieren? Kann man mit Behinderung wirklich surfen? Ja, man kann.
‚Adaptives Surfen‘ lautet der Begriff, der das Wellenreiten für Menschen mit Behinderung umreißt. Der spektakuläre Sport, der vor 3000 Jahren im alten Polynesien entstanden ist, ist heute rund um den Globus beliebter denn je. Und Surfen funktioniert nicht nur im Stehen. Ganz einfach: Wer die Energie einer Welle nutzt, um sich fortzubewegen, surft. Egal, in welcher Position – im Liegen, im Sitzen, im Knien, im Stehen, allein auf dem Brett oder im Tandem. Dieser Sport ist hochgradig an individuelle Fähigkeiten und Bedürfnisse anpassbar.
Der Open Ocean e.V. ist eine Kooperation mit dem Surf Clube de Viana in Portugal eingegangen, wo derzeit die inklusiven Surftrips stattfinden. Die Coaches mit langjähriger Erfahrung und der Standort mit barrierefreier Infrastruktur tragen dazu bei, den Aufenthalt am Meer und das Wellenreiten selbst zu einer sicheren und durch und durch positiven Erfahrung zu machen. Für die nötige barrierefreie Mobilität sorgen zum Beispiel Strandrollis mit Ballonreifen oder Matten, die am Strand den Zugang zum Wasser auch für normale Rollis ermöglichen. Surfbretter und Neoprenanzüge werden den Bedürfnissen entsprechend ergänzt und umgebaut. So kann jede*r teilhaben: mit Behinderung oder ohne, egal wie alt, egal welchen Geschlechts. Offenheit und Freude am gemeinsamen Experimentieren und Lernen sorgen dafür, dass es für jede Herausforderung eine Lösung gibt.
Hervorgegangen aus dem Deutschen Wellenreitverband e.V., dem Dachverband für Wellenreiten in Deutschland und Heimat des deutschen Para-Surf-Nationalteams, steht der gemeinnützige Open Ocean
e. V. für die Unterstützung von persönlichem Wachstum und Inklusion durch Wellenreiten. Der Verein hat sich zum Ziel gesetzt, diesen Sport so vielen Menschen wie möglich zugänglich zu
machen. Er bietet Projekte rund um das inklusive und barrierefreie Wellenreiten an. Mit Expertise, Überzeugung und freundlicher Offenheit eignen sich die Angebote sowohl für Einsteiger*innen als
auch für fortgeschrittene Surfer*innen und richten sich an Menschen sowohl mit als auch ohne Behinderung. Dabei ist es gleichgültig, ob es sich um einen Querschnitt, eine Amputation,
Blindheit oder was auch immer handelt.
Kraft, Geschick und mentaler Fokus
Der Nutzen des Wellenreitens ist vielseitig: Wer Wellen reitet, erfährt, wozu der eigene Körper fähig ist, trainiert körperliche Kraft, Geschick und mentalen Fokus. „Mein Gleichgewicht ist viel besser geworden. Das sind ja richtige Gleichgewichtsübungen im Meer. Die haben deutlich mehr Effekt als jede Übung zu Hause“, sagt Jaqueline, blinde Teilnehmerin eines Surfcamps in Portugal.
Wer sich der großen therapeutischen Kraft des Wassers überlässt, entwickelt ein neues Verhältnis zu sich selbst und den eigenen Möglichkeiten und baut das eigene Selbstbewusstsein auf. Als Kind wurde mir häufig eingeredet, du kannst das nicht. Heute sage ich:„Ich probiere das aus!“, fasst Jaqueline ihren persönlichen Fortschritt nach dem Camp zusammen.
Die gemeinsame Erfahrung des Wellenreitens in einer inklusiven Gruppe sorgt für eine veränderte Selbst- und Fremdwahrnehmung, die sich in den Alltag der Teilnehmenden überträgt. Menschen ohne Behinderung entwickeln Sensibilität und Bewusstsein für fehlende, aber notwendige Barrierefreiheit in ihrer Umgebung und für die Herausforderungen, denen Menschen mit Behinderungen täglich begegnen.
Menschen mit Behinderung wachsen über sich selbst hinaus und erfahren, dass sie zu so viel mehr in der Lage sind, als sie sich bisher zugetraut haben. Gemeinsam werden sie zu Botschafter*innen für ein buntes Lineup und eine inklusivere Gesellschaft.
„Wir haben keine Lust auf die Trennung von Behinderung und Nichtbehinderung, das gibt es doch im Alltag schon genug“, erklärt Johannes Laing, Mitbegründer und mit einer Querschnittslähmung selbst adaptiver Surfer, das Konzept des Vereins. „Die so oft zitierte Inklusion ist bei uns Realität: Jede*r profitiert, sei es, indem man sich gegenseitig unterstützt und voneinander lernt oder bisherige Vorstellungen und Vorurteile ihre Gültigkeit verlieren und man sich vom Lebensmut anderer Menschen inspirieren lässt. Denn das Meer diskriminiert nicht. Es behandelt uns alle gleich.“
Neben den bis zu vier Mal im Jahr stattfindenden Surfcamps arbeiten die Mitglieder des Open Ocean e.V. an weiteren Projekten und Aktivitäten. Dazu gehören unter anderem das jährlich stattfindende inklusive Surffestival „RideTogether“ sowie Angebote im neuen Wavepool o2 Surftown MUC, die ab 2025 durchgeführt werden sollen.
Lust auf mehr Meer? Weitere Infos zu Open Ocean e.V.
Die Dokumentation „Open Ocean“ von den Filmemachern Philippe Opigez und Rico Stein tourt seit Sommer 2024 durch Deutschland und Europa. Trailer und Film vermitteln Eindrücke und machen Lust, sich näher mit dem Thema zu befassen: https://www.youtube.com/watch?v=kdyvItsZ590. Weitere Infos findest du auf der Webseite des Open Ocean e.V.: https://open-ocean.info/film/.
Du findest die Arbeit des Open Ocean e.V. spannend und möchtest mitmachen? Jedes Mitglied ist herzlich willkommen: ob als Fördermitglied oder als aktives Mitglied. Beim Open Ocean e.V. kannst du am Angebot teilnehmen oder deine eigenen Ideen umsetzen. Dazu stehen dir eine professionelle Struktur, ein erfahrenes Team und Zugang zu Fördermitteln zur Verfügung. Das geht auch digital!
Klingt interessant? Hier kannst du Mitglied werden: https://hexa.easyverein.com/public/OpenOcean/applicationform/7196.
Ihr habt Interesse, mit dem Open Ocean e.V. zu kooperieren und über eine mögliche Partnerschaft zu sprechen? Kontaktiert das Team per E-Mail an hallo@open- ocean.info.
Gastbeitrag von Almut Laing, Ehrenamtliche Mitarbeiterin bei Open Ocean e.V. in Köln. Wer mehr über Open Ocean e.V. erfahren möchte, der findet hier die Homepage, kann dem Verein auf Instagram folgen oder schaut mal bei LinkedIn rein.
Weitere Artikel
Fokusthema Sportprothese
Spätestens mit den Paralympischen Spielen 2012 in London rückte der Behindertensport vom Rande der Berichterstattung ins Rampenlicht. Und damit wurden binnen kurzer Zeit auch die besonderen Sportprothesen, die die Weltklasseleistungen der Athlet*innen ermöglichen, zum Gesprächsthema. Damals war der südafrikanische Sprinter Oscar Pistorius - auch bekannt als The Blade Runner - einer der Stars der Spiele. Pistorius und viele andere Sportler*innen waren plötzlich auch jenseits des oft recht engen Kreises des Para-Sports bekannt. Seit dem hat sich viel getan und das Thema Sportprothese erfreut sich einer immer größeren Beliebtheit. Daher freu ich mich heute auf ein Interview mit Tim vom Hagen. Tim ist CPO - sprich Certified Prosthetist/Orthotist - mit langjähriger Erfahrung im Prothesenbau und Filialleiter bei Lentes Prothesenwerkstatt in Leverkusen. weiterlesen
Peers und Aufklärung
Heute habe ich das Vergnügen, einen Artikel von Kim Cremers Blog 'Das Leben geht weiter, auch wenn es humpelt' posten zu können. Vielen von euch ist Kim aka Kimii.b.c wahrscheinlich von Instagram bekannt. Kim und ich wollen über die kommenden Monate immer mal wieder was zusammen machen. Und der heute Post stellt den Auftakt für diese neue Kooperation das. Und dabei geht es unter anderem um Aufklärung und den Mehrwert von Peer-Begleitungen und gegenseitiger Unterstützung. weiterlesen
USB Ladegerät
Ja, endlich ist es da. Das USB-Ladegerät von OttoBock zum Aufladen seiner Mikroprozessorknie. Das ist etwas, auf das ich schon lange gewartet habe. Und wenn ich auf die letzten 20 Jahre zurückblicke, gehört dieses Gerät zu den wenigen Dingen, die für aktive Amputierte wirklich neue Wege beschritten haben. Nach der Einführung von Mikroprozessorknien und den ersten vollständig wasserdichten Mikroprozessorgeräten ist dieses Ladegerät ein weiterer großer Schritt in Richtung völlige Unabhängigkeit. weiterlesen