Nach einem Lawinenunglück zurück in ein aktives Leben I

Ein Tag abseits der Piste endete für Marian fast tödlich, doch er kämpft sich in ein aktives Leben zurück (Bild mit freundlicher Genehmigung von Ottobock)
Ein Tag abseits der Piste endete für Marian fast tödlich, doch er kämpft sich in ein aktives Leben zurück (Bild mit freundlicher Genehmigung von Ottobock)

Marian Veith: Lawinenüberlebender

Vor einem guten Monat wurde die YouTube Dokumentation „New Boundaries - The Story of Marian“ der Öffentlichkeit vorgestellt. Die vierteiligen Serie - ein gemeinsames Projekt von Ottobock und der Filmproduktion WE MAKE THEM WONDER - begleitet den 34-jährigen Marian Veith auf seinem Weg und erzählt, wie er nach einem lebensverändernden Schicksalsschlag über seine Grenzen hinauswächst und sich dafür ein großes Ziel setzt: Eines Tages wieder Skifahren zu können. 

 

Die sehr einfühlsam erzählte Geschichte, die in meinen Augen enorm gelungen filmische umgesetzt wurde, hat mich gleich bewegt. Und so ergriff ich die dankbar Gelegenheit beim Schopfe, als ich die Möglichkeit hatte, mit Marian ein Interview führen zum können.

 

Im ersten Teil unseres Gespräches geht es um den Unfall, die Zeit in der Klinik, die ersten Schritte auf der Prothese und das erste große Erfolgserlebnis nach seiner Amputation: Eine Runde mit Prothese auf dem Fahrrad. Dieser Artikel ist ab heute auf meinem Blog zu lesen.

 

In der kommenden Woche erscheint dann der zweite Teil des Interviews. Dann geht es um die filmische Aufarbeitung seiner Geschichte und die abermalige Auseinandersetzung mit dem Lawinenunglück, die Reise zurück in ein sehr aktives Leben, den so wichtigen Austausch mit anderen Amputierten und die schon erreichten Meilensteine auf dem Weg zur Erfüllung eines Traumes: Wieder auf Skiern in den Bergen unterwegs zu sein.

 


Dieser Artikel ist Teil meiner bezahlten Partnerschaft mit Ottobock


Nur knapp mit dem Leben davongekommen

Björn: “Heute habe ich das Vergnügen, Marian Veith bei mir zu haben. Marian ist in der neuen vierteiligen Ottobock  Doku 'New Boundaries' zu sehen, die zur Zeit auf YouTube zu haben ist. Wenn ihr die noch nicht gesehen habt, tut euch was Gutes und schaut euch die an.

 

Ich hatte gestern bereits das Vergnügen, ein Interview mit Marian - sowie Noah Elliot aus den Vereinigten Statten und Caleb Swanepoel aus Südafrika - führen zu dürfen und zwar hier in den Ottobock Studios in Duderstadt. Und heute haben wir die Gelegenheit, unser Gespräch noch etwas zu vertiefen, ganz alleine und ohne andere Leute. Von daher würde ich sagen: Leben wir los.

 

Mariam, herzlich willkommen hier im Podcast. Schön dich hier zu haben."

 

Marian: "Danke, danke. Freut mich auch, heute hier zu sein. Das ist  mein allererster Podcast. Also eine Premiere auch für mich heute."

 

Björn: “Das ist schön. Dann sage ich dir nachher am besten auch gleich noch, wo du dir die Folge bald anhören kannst. Wenn es angesichts der Probleme, die wir heute mit den Mikros haben, denn zu einem Podcast kommt. Falls wir die Aufnahme dieses Mal nur abtippen, dann müssen wir unser Interview für eine Sendung irgendwann nochmal nachholen.

 

Mariam, es wird nicht jeder, der diesen Artikel liest, die Videoserie 'New Boundaries' geschaut haben."

 

Mariam: "Noch nicht!"

 

Bjoern: "Genau, noch nicht. Daher fangen wir doch mal mit den Basics an. Wer bist du? Wie kam es dazu, dass du oberschenkelamputiert bist? Erzähl uns doch bitte ein wenig über deine letzten zweieinhalb Jahre."

 

Marian: "Hallo alle zusammen. Ich heiße Marian, ich bin 34, wohne in München. Von Beruf bin ich Rechtsanwalt und schon mein Leben lang bin ich leidenschaftlicher Skifahrer - Free Ski und Freerider. Eines verhängnisvollen Tages - genauer gesagt am 4. Februar 2022 - bin ich mit einem Freund Freeriden gegangen. Also Freeriden für alle, die es nicht kennen, das ist einfach im Gelände, quasi abseits der gesicherten Pisten, Skifahrern im Tiefschnee. Und dabei bin ich mit meinem Begleiter in den Lavine gekommen. Em Ende bin ich zwar nochmal mit dem Leben davon gekommen, ich hatte mir aber schwere Verletzungen an beiden Beinen zugezogen. Offene Femurschaftfraktur, eines der größten Blutgefäße war gerissen, so dass dann die Muskulatur im rechten Bein nicht mehr mit Blut versorgt wurde. Und in der Folge musste dann mein Bein amputiert werden.

 

Das ist jetzt gute zwei, zweieinhalb Jahre her. Natürlich war das erstmal ein Riesen-Schock. Es hat erst einmal eine Weile - sprich ein paar Monate - gedauert, das Ganze zu verarbeiten. Seitdem versuche ich mich wieder Schritt für Schritt an meine alten Hobbys, an meine Leidenschaften ranzutasten,  immer wieder auch neue Dinge zu entdecken und einfach die Freude am Leben wieder zu gewinnen. Und deswegen bin ich hier. Und so bin ich auch mit Otto Bock zusammengekommen und letzten Endes dann auch mit dir.”

  

Björn: “Ja, schön. Mich hat unser Kennerlernen sehr gefreut, muss ich sagen. Ich konnte die Videos ja bereits im Vorfeld  sehen. Und auch gestern für unser Ottobock live auf Youtube war es sehr nett, dich näher kennenzulernen und etwas mehr über diene Geschichte zu erfahren. Ich kann Video zu unserem Gespräch nur jedem wärmstens empfehlen.

 

Aber kommen wir noch einmal zu dir. Wie du sagst, du warst schon vor deinem Unfall sehr sportlich; bist mit den Skiern schon fast auf die Welt gekommen. Du hast sehr früh das übliche Skifahren auf angelegten Pisten gelernt und warst zudem im kompetitives Skifahren aktiv. Irgendwann kam dann das Freeriding. Und wenn ich dem Film glauben schenken darf, dann bist du ein sehr guter Skateboarder. Vor diesem Hintergrund kam es dann vor zweieinhalb Jahren zu diesem schweren, folgenreichen Unfall.

 

Da war einerseits der Verlust des Beines, aber auch andere schwere, lebensbedrohliche Verletzungen, wo du erst mal gar nicht weißt, geht es weiter und wenn ja, wie. Andererseits ist da aber auch schon früh diese Grundpositivität, dieser Optimismus. Ich hatte das Gefühl, bei dir herrschte recht bald die Einsicht, dass auch dieses Lawinenunglück zwei Seiten hat. Sagen wir zwei Seiten ein und der selben Medaille. Ich habe einerseits viel verloren. Aber ich bin mit dem Leben davon gekommen. Viele hatten an diesem Tag oder auch in der Woche oder in dem Winter nicht dieses Glück.”

 

Wie war es nun für dich? Du wachst auf. Bist auf das, was passierte ja in keinster Weise vorbereitet. Du gehst morgens aus dem Haus, um einen tollen tag in den Bergen zu verbringen und wachst einige Zeit später auf. Mit lebensverändernden Verletzungen und am Beginn der Reise in ein neues Leben. Wie waren diese ersten Momente, Stunden, Tage? Und kam die Einsicht, weg vom ersten Schock hin zum Annehmen, hin zu Akzeptanz? Vielleicht auch die erste freudige Zuversicht, dass du sagst, gut, das müssen wir jetzt irgendwie abschließen, aber dann muss es auch nach vorne, dann muss es weiter gehen?"

 

Marian: "Also da muss ich ein bisschen weiter ausholen."

 

Björn: "Aber gerne doch.”

 

 

Die Zeit in der Klinik

Marian: “Da muss ich noch mal ein bisschen auf den genauen Verlauf eingehen, weil sich das bei mir quasi so in verschiedenen Kapiteln oder Etappen abgespielt hat.

 

Also, anfangs nach der ersten Not-OP lag erst erst einmal ein paar Tage im Koma. Klar, im Koma kriegt man irgendwie nichts mit. Und so war ich da irgendwie in meinem Hirn gefangen. Irgendwann bin ich dann aufgewacht. Ich war an lauter Schläuche angeschlossen. Alles hat gepiepst. Maschinen um mich rum. Und irgendwie kam zu diesem normalen Gepiepse dann auch noch so ein Notfallton dazu.

 

Und ich erinnere mich noch genau. Zu dem Zeitpunkt hatte ich ja auch noch nicht mit den Ärzten gesprochen; wusste also noch nicht wirklich, was passiert war, was für Verletzungen ich hatte und wie ernst meine Lage war. Und dennoch erinnere ich mich genau daran, mir in diesem Moment selbst gut zugeredet zu haben. Ich sagte mir, heute stirbst du nicht. Das war eigentlich so eine der ersten Erinnerungen, die ich an die Zeit direkt nach dem Aufwachen aus dem Koma wieder habe. Und ab da wurden dann auch die Gedanken wieder ein bisschen klarer. Ich konnte die ganze Situation wieder besser erfassen. Und dann ja auch mit den Ärzten reden.

 

Ich muss dazu sagen, dass anfangs, als ich aus dem Koma wieder erwachte, da war mein rechtes Bein noch dran. Ich hatte Fixateure in beiden Beinen und ja auch mit anderen Verletzungen zu kämpfen. Aber das Bein war noch da. Und dann ging das Bangen los. Zu Beginn hatte ich natürlich gehofft - und das war auch die erste Fragen, die ich den Ärzten gestellt habe - , das die mein Bein retten können. Das werde ich nie vergessen, optimistisch, wie ich da noch war. Dazu hatten die Ärzte gesagt, ja okay, jetzt machen sie erst mal langsam. Wir werden sehen, was wir tun können. Aber wir können natürlich nichts versprechen.

 

Dann hat sich das noch knapp ein Monat hingezogen, bis eben final die Entscheidung getroffen wurde, dass das Bein nicht zu retten ist. Also letzten Endes traf ich die Entscheidung. Sie wurde mir überlassen. Aber die Ärzte hatten zuvor schon relativ deutlich ihre Einschätzung oder ihre Empfehlung durchblicken lassen. Dennoch hatten in der Zwischenzeit natürlich auch weiterhin medizinisch nichts unversucht gelassen.

 

So kam ich Beispiel jeden Tag in eine Druckkammer. Ich weiß nicht, ob das manche von euch kennen. Das Ziel ist , die Sauerstoffsättigung im Blut zu erhöhen und dadurch dann auch Regionen besser mit Sauerstoff versorgen zu können, bei denen das aufgrund der Verletzungen schwer zu machen ist. In meinem Fall war das eben die Muskulatur in meinem Bein, wo ansonsten auf natürlichem Weg nicht mehr so viel Blut hinkommt. Das hat leider alles nicht funktioniert. Ich konnte quasi zuschauen, wie die Muskulatur in meinem Bein immer weiter abstirbt und musste dann auch alle paar Tage in den OP, damit dann das abgestorbene Gewebe entfernt werden konnte.

 

Und bald war klar, dass dann irgendwann eine große Entscheidung ansteht. Nach einiger Zeit habe ich dann auch zu mir selbst gesagt, irgendwie weiß ich, spüre ich es auch in mir selbst, dass der Kampf um mein rechtes Bein verloren ist. Das war in dem Moment dann auch ein bisschen wie eine Befreiung. Denn damit hatte ich die Aussicht, endlich aus dem Krankenhaus rauszukommen, die Fixateure loszuwerden und mein Leben neu auszurichten. Das war wie ein Licht am Ende des Tunnels. Ja, irgendwie tragisch und einschneidend, klar. Aber dennoch war das in dem Moment kein rein negatives Gefühl für mich. Vielmehr war damit das Ende der Leidenszeit und ein Neuanfang in Sicht.

 

Das soll jetzt nicht zu einfach klingen. Natürlich war da zu dem Zeitpunkt eine wüste Gefühlsmischung. Auf der einen Seite natürlich Angst davor, wie es dann sein wird aufzuwachen mit einem Bein. Aber andererseits auch die Freude, dann endlich diesen blöden Fixateur loszuwerden, der irgendwie so über die Hüfte ging, der mich damals einfach verrückt gemacht hat. Den wollte ich einfach loswerden.

 

Ja, so gesehen war eine Art Abschluss für mich. Und dementsprechend war es natürlich dann in den folgenden Tagen. Ich bin aufgewacht, es wurde der Verband entfernt und dann sah ich da erst mal diesen völlig angeschwollenen, unförmigen Stumpf. Das ist kein schöner Anblick. Das wünsche ich niemandem.

 

Un dennoch: Es fiel mir trotzdem nicht so schwer, weil ich halt noch diese ganze Leidenszeit und die ganzen Schmerzen und die ganzen OPs im Hinterkopf hatte. Die Entscheidung zur Amputation hat mir sehr dabei geholfen, nicht zu sehr in der Vergangenheit zu harren und mit der Situation zu hadern und stattdessen nach vorne zu blicken.

 

 

Unterstützung von Gleichgesinnten

Marian: "Ich hab dann auch relativ schnell einen Peer getroffen. Eine junge Frau, ebenfalls amputiert, die mich in der Klinik besuchte. Sie hatte auch einen schweren Unfall gehabt. Sie wurde beim Motorradfahren von einem LKW angefahren, hat dann auch ein Bein verloren, oberhalb, also above knee. Zudem wurde ihr auch noch ein Arm amputiert. Sie hatte es also noch mal schwerer erwischt als mich. Und trotzdem hatte sie einfach so eine positive Ausstrahlung gehabt. Das machte mir damals großen Mut für all das, was noch kommen könnte.”

 

Björn: "Vielleicht für die Zuhörer und Zuhörerinnen, die das in Deutschland nicht kennen. Du sprachst Peer an, also ein Peer Support System, wo Leute, die frisch amputiert sind, mit anderen in Kontakt gebracht werden, die nicht medizinisches Fachpersonal oder orthopäditechnisches Fachpersonal sind, sondern aus eigener Erfahrung reden und persönlich mit Rat und Tat zur Seite stehen können. Leute, die man auch mal Sachen fragen kann, die man Ärzte und Ärztinnen nicht unbedingt fragen will."

 

Marian: "Genau! Das war eigentlich ganz witzig. bei ihrem ersten Besuch, da war gerade in der Schmerztherapie. Ich hatte Ketamin, ein relativ starkes Betäubungsmittel bekommen und war dann noch so richtig verplant. Und dann kam sie so rein. Und wenn ich daran zurückdenke, dann ist mir klar: Ich hatte damals gar nicht alles mitbekommen, gar nicht alles gecheckt. Und genau, dann kam sie eben so rein. Das werde ich auch nicht vergessen. Das war irgendwie ganz cool. Weil während man da auch so ein bisschen, sage ich mal, betäubt ist halt und vielleicht auchschlechte Gedanken ausblenden kann, dann kommt mein Peer rein, auf zwei Beinen, gut drauf und voller Lebensfreude. Das hatte damals in dem Moment auf jeden Fall geholfen."

 

Björn: "Ja, cool. Hattet ihr länger Kontakt? auch mit dem Wissen, da ist jemand, da brauchst du bloß zum Telefonhörer greifen, einfach sagen, Mensch, lass noch mal treffen, zum Kaffee trinken. Ich bin jetzt einen Schritt weiter. Ich hadere mit dieser oder jener Situation. Oder ich habe hier eine Frage, da würd ich gerne mal deine Meinung hören. Oder hast du noch nen ganz praktischen Tipp für mich?"

 

Marian: "Also wir haben uns, ich glaube, zweimal in Murnau getroffen. Ich war in Murnau im Krankenhaus. Und da hat sie mich zweimal besucht. Dann waren wir einmal zusammen beim Orthopädietechniker. Also das erste Mal hat sie mich quasi da mitgenommen. Sie hat mich dem Techniker vorgestellt und hatte mir auch danach noch Unterstützung angeboten. Mittlerweile hat sich das so ein bisschen verlaufen. Aber für mich war mein Peer auf jeden Fall die erste Ansprechpartnerin, die auch aus eigener Erfahrung berichten und beraten konnte. Und dementsprechend hat sie mir da schon am Anfang eine gute Hilfsstellung gegeben.”

 

Björn: “Ich habe ja nun gestern von dir erfahren, dass deine Reha relativ kurz war. Lediglich fünf Tage, wenn ich mich richtig entsinne. Zugleich sehe ich, dass du sehr schnell auf die Beine gekommen bist und sehr gut mit der Prothese zurechtkommst. Zwischen den Zeilen höre ich auch deine Neugier raus, einfach mal zu schauen, was in der Prothese - oder besser gesagt in der Kombi aus mir und der Prothese - alles drinsteckt.

 

Wenn du zurückblickst: Was waren für dich so die ersten Meilensteine? Was half dir wirklich, schnell wieder, auf die Füße zu kommen? Und was war so der Zeitrahmen für dich? Weil ich hatte das Gefühl, das lief alles recht zügig."

 

Marian: "Ja, es ging zum Glück relativ schnell. Rechts musste das Bein amputiert werden,  links hatte ich beide Kreuzbänder, das Außenband und so gerissen. Das heißt, da hatte ich dann auch noch die ein oder andere OP. Ich glaube, ich wurde am 22. März aus dem Krankenhaus entlassen. Also ungefähr sieben oder acht Wochen nach dem Unfall.

 

Die erste Zeit danach saß ich dann im Rollstuhl, weil ich mein links Bein noch nicht belasten durfte. Was ich dazu unbedingt noch sagen muss, ist,  dass die seitliche Muskulatur komplett abgestorben war, war die Heilung recht komplizierter, weil man noch die Weichteile von der Wade irgendwie hochlegen musste. Das hat dann alles noch ein bisschen länger gedauert und meine Genesung in die Länge gezogen

 

Aber so etwa zwei Monate nach der Entlassung auf dem Krankenhaus habe ich dann die erste Prothese bekommen. Natürlich musste ich da erst einmal noch langsam machen. Das ganze Gewebe war noch nicht so gut verheilt, wie es jetzt ist. Das war alles anfangs noch nicht so belastbar. Aber wie gesagt: Schon nach zwei Monaten hatte ich die erste Prothese und ab da hatte ich dann wirklich wieder Hoffnung geschnuppert.

 

Rückblicken kann ich sagen, die ersten zwei Monate mit dem Rollstuhl, das war schon wirklich sehr frustrierend. Aber ab da ging es dann wieder bergauf.”

 

 

"Mein Fahrrad Ruft!"

Marian: “Das erste Erfolgserlebnis, das ich hatte, war, dass ich zum ersten Mal wieder Fahrrad gefahren bin. Relativ schnell sogar, wenn ich jetzt so darüber nachdenke. Ich hatte das Kinevo Knie als Interimsprothese. Und das hat ja diesen schönen, sehr gut funktionierenden Fahrradmodus. Und eines Tages, da bin ich aufgewacht und dachte mir, eigentlich fühle ich mich soweit ganz wohl und soweit sicher auf der Prothese. Mein Bruder war zu der Zeit da. Der wohnte hau der Zeit eigentlich in Berlin, war damals aber bei mir zu Besuch. Und aus heiterem Himmel hatte ich damals zu ihm gesagt: "Hey, mein Fahrrad ruft. Ich spüre es heute, ich würde gerne Fahrrad fahren.

 

Und dann sind wir runtergegangen, ich habe mich aufs Fahrrad gesetzt und es hat eigentlich gleich recht gut geklappt. Klar, am Anfang ist man irgendwie ein bisschen wackelig; man muss auch erstmal den Fuß richtig auf dem Pedal platzieren. Aber das hat dann eigentlich direkt geklappt und ich hatte keine nennenswerten Probleme gehabt. Das war das erste Mal die so wichtige Bestätigung, ja, okay, die Prothese kann was und ich kann auch was mit der Prothese anfangen. Zudem gab es mir aber auch eine ganz neue Wertschätzung für das Fahrradfahren.

 

Ich liebe Fahrradfahren. Auch schon vor meinem Unfall. Aber jetzt nochmal mehr. Klar, man hinterfragt ja alles. Ich malte mir anfangs so Schreckensszenarien an die Wand. Wie würde mein Leben auf nur einem Bein aussehen? Auf was müsste ich alles verzichten? Aber als ich merkte, dass mit dem Fahrrad, das geht, da ist mir schon eine große Last von den Schultern gefallen. Als ich merkte, dass Fahrradfahren geht, da hatte ich dann auch wieder Motivation und Hoffnung für alles weitere geschöpft.”

 

Björn: “Ja cool! Echt klasse. Ich muss gestehen, Fahrradfahren ist etwas, was ich bis jetzt erst ganz, ganz selten gemacht habe, weil ich enorme Probleme damit habe, dass der Schaft da bleibt, wo er soll. Und das trotz relativ guter Justierbarkeit des Schaftes."

 

Marian: "Mach das unbedingt. Meine Geschwister, die sind beide passionierte Rennradfahrer und sind beide bereits den Ötztaler Radmarathon gefahren. Das ist ein ein Bergrennen mit zigtausend Höhenmetern; echt anspruchsvoll. Und die haben mir erzählt, da fährt wohl einer mit, der ist ganz weit oben amputiert. Und der fährt das Rennen komplett auf einem Bein. Also Respekt. Und das zeigt, es würde im Notfall auch mit nur einem Bein gehen.

 

Björn: "Das geht eigentlich sehr gut. Ich bin früher, als ich noch zwei Beine hatte, das eine davon aber nicht richtig funktionierte, bin ich immer einbeinig gefahren. Aber da hatte ich das andere noch, so dass ich an der Ampel halt ein Bein hatte, mit dem ich anhalten und mich aufrecht halten konnte, während das andere Bein super fest in der Pedale festgezurrt war. Denn das musste ja beim Fahren die ganze Arbeit machen.

 

Und heute denke ich, klar, wen ich irgendwo in der Pampa fahre, okay. Aber bei uns im Straßenwagen, wenn du irgendwo anhalten musst und die Prothese ist wieder recht lose und beim Anhalten nicht sicher belastbar und so. Ich muss gestehen, da bin ich mittlerweile ein bisschen ängstlicher geworden. Aber da finde ich auch noch einen Weg. Das Gespräch hier mit dir ist eine gute Ermunterung, es einfach zu probieren."

 

Marian: "Mir ist es auch schon des öfteren passiert, dass ich ungeplant anhalten musste. Ich musste dringen einen Zug erwischen und dachte, wie komme ich jetzt am schnellsten zum Hauptbahnhof? Ich habe mir diesen Emmy-Roller genommen. Weißt du, diese Leihroller, die du mit der App leihen kannst. Habe mich drauf gesetzt, nicht groß darüber nachgedacht und dann an der Ampel versucht, rechts auf die Prothese zu steigen. Dabei hatte ich nicht mal den Radfahrmodus drin. Aber trotzdem, ich hatte wohl zu viel Gewicht auf die Prothese verlagert und zack, schon lag ich da. Aber alles halb so wild."

 

 

Teil 2 folgt in der kommenden Woche

Beitrag von Bjoern Eser. Bjoern ist der Gründer von und der Shaker und Maker hinter The Active Amputee. 

 

 

 

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