Marian Veith: Lawinenüberlebender auf dem Weg zurück in ein aktives Leben
In der vergangenen Woche gab es hier den ersten Teil meines Interviews mit Marian Veith zu lesen (wer den ersten Teil noch nicht gelesen hat, findet ihn hier). Marian hat vor einigen Jahren nur knapp eine Lawinenunglück überlebt. Seine Geschichte wie er nach lebensverändernden Verletzungen wieder auf die Beine kam steht im Focus der YouTube Dokumentation „New Boundaries - The Story of Marian“. Der Film ist ein gemeinsames Projekt von Ottobock und der Filmproduktion WE MAKE THEM WONDER.
Im heutigen zweiten Teil des Interviews geht es um die filmische Aufarbeitung seiner Geschichte und die abermalige Auseinandersetzung mit dem Lawinenunglück, die Reise zurück in ein sehr aktives Leben, den so wichtigen Austausch mit anderen Amputierten und die schon erreichten Meilensteine auf dem Weg zur Erfüllung eines Traumes: Wieder auf Skiern in den Bergen unterwegs zu sein.
Dieser Artikel ist Teil meiner bezahlten Partnerschaft mit Ottobock
New Boundaries Video Begleitung
Björn: “Marian, ich würde gerne noch mal auf den Film eingehen. Ein in meinen Augen sehr schön gemachter, sehr einfühlsamer und sehr aussagekräftiger Film, in dem verschiedene Aspekte deiner Geschichte harmonisch zusammenkommen.
Als ich mir die Doku das erste Mal ansah, stellte sich mir gleich eine Frage: Wie war es für dich, bei deiner Auseinandersetzung mit den Ereignissen der letzten Jahre filmisch begleitet zu werden? Und sich dadurch ja auch nochmal mit einer anderen Brille, und mit einer anderen Distanz aber gleichzeitig auch ganz anderen Nähe mit dem Unfall, der Amputation und der Genesung konfrontiert zu sehen - wissend, dass das jetzt nicht wie ein Tagebuch für dich selbst, sondern potenziell für die ganze Welt offengelegt wird. Und dabei auch noch einmal die Ängste und Sorgen deiner Familie mitzubekommen. Deine Eltern, deine Schwester und andere dir wichtige Menschen kommen in der Doku ja oft zu Wort. Und die Zuschauer*innen merken da einfach, das Geschehene ist für die immer noch ganz nah; ganz, ganz wichtig. Ihnen ist noch immer sehr bewusst, da hätten sie um Haares Breite ihren Sohn, ihren Bruder, den Partner verloren."
Marian: "Also, ich habe sowas natürlich vorher noch nie gemacht. Und natürlich habe ich gemerkt, dass meine Familie und meine damalige Freundin extrem emotional angefasst und mitgenommen waren. Das noch einmal zu sehen, das war schon sehr berührend.
ich muss dazu aber auch sagen, dass ich anfangs in erster Linie irgendwie auch auf mich konzentriert. Ich war da so in dieser Bubble im Krankenhaus. Da habe ich in erster Linie auf mich geschaut. Und gerade durch diesen Film und auch durch die ganzen Interviews der letzten Wochen wurde mein Blick da schon ein bisschen geweitet. Mir wurde mehr und mehr bewusst, dass ich da nicht alleine durchgegangen bin. Sondern dass natürlich auch meine Familie, mein engstes Umfeld, dass die vielleicht sogar noch mehr mental darunter gelitten haben als ich selbst. Und das war mir davor nicht in dieser Deutlichkeit bewusst. Das hat mir auch noch einmal gezeigt, was ich meiner Familie und meinem Umfeld angetan habe. Das war mir davor gar nicht so bewusst.
Natürlich habe ich das nicht absichtlich gemacht. Aber wie viele Sorgen, wie viel Trauer da war, war mir einfach nicht klar. Das ist mir dann erst im Nachgang klar geworden. Irgendwie hat es mir auch nochmal gezeigt, wie schön und wie enorm wichtig auch Familie ist und wie eng diese emotionale Verknüpfung ist."
Björn: "Auf mich wirkst du, als hättest du diese Zeit für dich auch gut verarbeitet. Wahrscheinlich gibt es Tage, da ist das Geschehen mal näher, mal weiter weg. Aber alles in allem sagst du, das hat in deinem Leben, in deiner Vita jetzt einen Platz gefunden. Und der da auch passt, der jetzt momentan stimmig ist.
Und dann kommt da diese Idee mit der Dokumentation. Hast du das Gefühl, dass der Film, jetzt nicht das Endprodukt, aber die Filmerei als solches, die Begleitung durch das Filmteam dabei geholfen hat, das Geschehene zu verarbeiten? Oder war das etwas, was vieles nochmal aufgewühlt hat? Und wie ist es jetzt, diese Geschichte mit der ganzen Welt zu teilen?"
Marian: "Ich würde schon sagen, dass es mir geholfen hat. Jedes Mal, wenn ich über das Unglück, aber auch die Genesung spreche, dann wird meine Situation dadurch ein Stück weit normalisiert. Ich muss dazu aber auch sagen, dass ich generell ein recht offener Typ bin. Ich fühle mich trotz der Amputation noch super wohl in meinem Körper. Ich weiß aber auch, dass es andere Leute da draußen gibt, die vielleicht nicht so souverän damit umgehen können.
Deswegen war es für mich, als sich die Gelegenheit bot, zusammen mit einem guten Freund dieses Projekt zu machen, auch keine Frage. Da musste ich nicht zweimal drüber nachdenken. Ich wusste, ich habe das Vertrauen zu den Leuten hinter der Kamera. Ich wusste, due würden meine Geschichte auf eine authentische Art und Weise erzählen.
Ohne mich jetzt selbst loben zu wollen, aber das Feedback, das ich schon im Krankenhaus von den Ärzten und anderen bekommen habe war, dass ich sehr gefasst und gut mit der Situation und all den Herausforderungen umgegangen bin. Und dann dachte ich mir, okay, vielleicht ist das eine Stärke von mir, anderen ein wenig ein Vorbild und eine Inspiration zu sein..
Und außerdem war es natürlich auch einfach eine coole Gelegenheit. Nachdem ich früher immer Skifilme mit meinem Kumpel zusammen gefilmt hatte, dann nach 15 Jahren oder so einfach zusammen abzuhängen und eine gute Zeit zu haben, dazu auch an wirklich coole Orte reisen zu und meine Geschichte erzählen zu können.
Björn: "Durch diese Kooperation hast du ja auch Noah Elliott, ein Parasnowboarder aus den USA kennengelernt, der sein Bein bereits in jungen Jahren durch eine Knochekrebserkrankung verloren hat. Wenn mich nicht alles täuscht, dann hast du Noah sogar persönlich treffen können. Und durch dieses Filmprojekt hast du zudem auch relativ früh, ich sage mal, einen ersten Einblick in diese Welt von Leistungssportler*innen, von Leuten, die die Grenzen ein bisschen pushen, aber auch von Leuten, die im Alltag einfach das Beste aus der Situation machen bekommen und von deren die Ideen, deren Lifehacks und Erfahrungen gehört.
Was bedeutet es für dich, gerade so jemanden wie Noah Elliott zu treffen, aber auch relativ früh in diese Szene reinzukommen und mit Leuten, die wissen, wovon sie reden, in den Austausch zu gehen. Sei das Heinrich Poppov, seien das andere, die einfach lange dabei sind und enorm viel Erfahrung mit ihrer ganz eigenen Geschichte, aber auch mit Hunderten oder sogar Tausenden von anderen Amputierten haben. Was bedeutet das für dich?"
Marian: “Also erstens ist da natürlich mal Wissenstransfer. Von denen kann ich viel mitbekommen, viel lernen. Also erst mal einfach nur in fachlicher Hinsicht, weil die einfach schon viel mehr Dinge ausprobiert haben, viel länger auch schon in der selben Situation sind wie ich.
Darüberhinaus habe ich von denen - insbesondere durch Heinrich, als auch durch Noah - aber auch gelernt, nicht so sehr auf Außenstehende zu hören. Auch wenn es hochqualifizierte Menschen wie Therapeuten, Techniker, Ärzte oder so sind. Stattdessen, so denke ich, ist es am allerwichtigsten, auf sich selbst zu hören. Das war die Message, die ich relativ schnell von allen Leuten gehört habe. Und das war wichtig. Weil gerade am Anfang wird einem immer gesagt, das geht nicht mehr und das kannst du nicht mehr machen und das wird auch in Zukunft nicht mehr möglich sein. Und eine Zeit lang habe ich das dann auch geglaubt.
Aber durch den Austausch mit anderen habe ich zum Glück auch recht früh angefangen, das zu hinterfragen und mehr auf meinen Körper zu hören. Das war eigentlich das Wichtigste. Und das hat dann auch schon einen großen Teil dazu beigetragen, dass ich wieder angefangen habe zu skaten, dass ich Snowboarden gelernt habe, zum ersten Mal mit Prothese.
Mein Arzt hatte gesagt, wir empfehlen ihnen auf gar keinen Fall, Ski oder Snowboard zu fahren. Und klar, wenn du das hörst, dann neigt man ja vielleicht manchmal schon dazu, einen negativen Blick auf die Zukunft zu haben, sich selbst irgendwie zurückzuhalten oder sich selbst zu bremsen. Aber ich glaube, die wussten da eh schon, dass sie damit bei mir auf taube Ohren stoßen würden. Und als ich dann gesehen habe, wie Noah ohne Probleme Skateboard fährt und Heinrich mir ebenfalls gut zuredet, da habe ich gewusst, nee, dieses Negative, so bin ich nicht. Ich bin ein positiver Mensch. Und Scheitern gehört ja auch dazu zum Leben. Das war auch vor dem Lawinenunglück nicht anders. Man probiert was aus, man scheitert ein paar Mal und irgendwann klappt es dann. Dieses Mindset habe ich dann auch auf die Zeit nach dem Unfall übertragen. Anfangs war das vielleicht nicht mehr ganz so stark vorhanden in meinem Kopf. Aber das kam dann schnell wieder."
Björn: "Ich bin ja auch jemand, der gerne viele neue Sachen ausprobiert. War ich immer schon. Aber ich muss sagen, vor dem Skateboard-Fahren, gerade wenn es nicht nur auf der Ebene ist, da habe ich enormen Respekt."
Marian: "Ja, aber das ist ein natürlicher Prozess. Am Anfang fährst du mit einem km/h in der Ebene, auf einem Parkplatz oder sonst wo. Und dann wagst du dich an den nächsten Schritt. Step by Step geht das dann weiter. Manchmal fast von alleine, manchmal musst du dich ein wenig überwinden. Und genauso war es aber auch, als ich vor zehn Jahren angefangen habe mit Skaten. Und nach dem Unfall war es im gründe nichts anderes. Natürlich hat es geholfen, davor auch geskatet zu sein. Und zu wissen: Beim Skaten, da klappt nichts beim ersten Versuch. Du brauchst eine unglaublich hohe Frustrationstoleranz. Du probierst einen Trick hundertmal oder tausendmal und er klappt nicht. Dann klappt es beim tausenden oder ersten Mal.
Das konnte ich dann auch relativ gut auf vieles übertragen. Weil natürlich so mit Prothese ist alles noch mal schwerer. Aber das hat mir schon auch geholfen, das zu akzeptieren, auch zu scheitern. Weil ich wusste, okay, Scheitern ist ein Teil des Prozesses. Und Skaten hat mir das auch schon vor dem Unfall irgendwie beigebracht. Danach war ich dann schon geduldig genug, um das zu wissen und trotzdem weiterzumachen."
Björn: "Es gibt ja auch dieses schöne englische Sprichwort: 'I prefer an oops to a what if'. Also lieber was ausprobieren und sich dabei ein bisschen zum Affen machen. Als es nie gewagt zu haben und sich noch Jahre später fragen, wie es denn gewesen wäre. Oder wie du sagst, du nennst es Scheitern. Aber das ist ja häufig nur ein temporäres Scheitern. Es klappt 15-mal, 20-mal nicht. Und irgendwann klappt es halt, wenn man es nur probiert und weitermacht.”
Meine Geschichten zu meiner Geschichte
Björn: “Was ich hier auch so aus deiner ganzen Geschichte raushöre, ist dieses Motto des Einfach-Ausprobierens. und zwar auf einem Level, der für einen passt. Wo man sich sicher fühlt. Oder man sagt, ich fühle mich gerade so ein bisschen unsicher, aber nur so viel unsicher, dass ich mir das trotzdem zutraue. Und dann einfach mal probieren. Herausfinden, wie fühlt sich das an, was macht es mit mir? Ist das was, was mir Spaß macht; wo ich Lust auf mehr habe?
Aber ich höre auch den Aufruf, für das eigene Leben und den Neuanfang nach der Amputation Verantwortung zu übernehmen. Natürlich müssen wir medizinischem Fachpersonal zuhören und vertrauen. Alles andere wäre ja absurd. Aber das heißt ja nicht, sich selbst aus den Entscheidungsprozessen, die das eigene Leben betreffen rauszunehmen und uns komplett anderen ausliefern. Wir haben die Pflicht, uns zu informieren, finde ich. Und wir haben mittlerweile auch tolle Möglichkeiten, uns zu informieren.
Aber wir haben dann auch das Recht, Entscheidungen mitzutreffen. Und nicht nur nach dem Motto 'der Arzt hat gesagt, der Fixateur soll jetzt noch drei Monate drin bleiben und danach wird das Bein erhalten, ob es was bringt oder nicht'. Oder 'der Arzt hat gesagt, ich soll auf gar keinen Fall wieder auf die Ski'.
Ja, und ich glaube, das ist auch ganz wichtig, wenn man das Gefühl hat, dass einem eine bestimme Entscheidung nicht aufgezwungen wurde. Klar, da sind bestimmte Umstände, die sind hinzunehmen. Du hättest dir das Lawinenunglück nicht ausgesucht. Aber so ist es nun mal. Und jetzt bist du mit im Entscheidungsteam drin und dann fällt nachher auch die Akzeptanz einer Amputation leichter. Natürlich haben wir alle mal Tage, wo wir denken, ist die Amputation ein Scheiß. Aber dann sind dann einzelne Tage. Und auch die fallen einem dann leichter."
Marian: "Lass mich dazu zwei Dinge anmerken. Zum einen: Du bist ja nicht nur im Entscheidungsteam drin, sondern du bist am Ende der Entscheider. Und Tage, die nicht so laufen, wie wir sie gerne hätten, an denen wie hadern, die hat ja auch jeder, oder? Ich sag mal auch Leute, die vollkommen körperlich fit und gesund sind. Ich glaube, dass man das nicht vergessen darf; dass das normal ist. Und wenn man mal ehrlich ist, dann hatte ich solche Tage auch schon davor. Und natürlich hat es jetzt vielleicht noch mal eine andere Magnitude, aber am Ende des Tages bin ich immer noch derselbe Mensch."
Björn: “Genau.
Marian: “Und ich versuche, meine Situation immer wie eine Verletzung zu betrachten. Du hast dann kurz bis mittelfristig mit bestimmten Einschränkungen zu kämpfen. Du kannst bestimmte Dinge nicht machen. Aber für mich war das so eine Entscheidung, die ich dann versucht habe, bewusst zu treffen. Langfristig muss man sich dann halt einfach damit arrangieren.
Ich meine, wenn ich mir jetzt das Kreuzband reiße oder sowas, dann habe ich dadurch eventuell auch mein Leben lang Kniebeschwerden. Aber trotzdem würde niemand auf die Idee kommen, sein Leben komplett umzustellen oder mit Sport aufzuhören. Klar, kann man das nicht eins zu eins übertragen, aber ich versuche das mit der Amputation genauso handzuhaben. Sprich: Kurz bis mittelfristig habe ich mich eingeschränkt. Aber ich möchte nicht, dass es den Rest meines Lebens bestimmt."
Björn: "Marian, wir kommen langsam zum Ende des Interviews. Und da habe ich noch zwei Fragen. Zum einen: Steht irgendwas an, was du in den nächsten sechs Monaten Neues ausprobierst oder eine tolle Vorhaben, auf das du dich riesig freust?"
Marian: "Ja, natürlich. Also ich habe letztes Jahr mit Snowboarden angefangen. Leider gab es Probleme mit der Prothese. Deswegen konnte ich nur drei Tage Snowboarden gehen. Jetzt steht ja der Winter wieder vor der Tür. Das heißt für mich, dass ich dieses Jahr auf jeden Fall mehr als drei Tage Snowboarden gehen möchte.
Des Weiteren fliege demnächst zu einer Freundin nach Bali. Bali ist ja bekanntermaßen ein Surf-Hotspot. Dementsprechend werde ich auch wieder in ein paar Wellen reiten. Sprich: Surfen gehen, das einfach mal ausprobieren. Und hoffentlich klappt da. Da freue ich mich schon riesig drauf."
Björn: "Cool. Ich weiß nicht, ob du das Open Ocean Projekt kennt. Aber vor ein paar Monaten hörte ich von einem Filmprojekt eines Filmemacher und hab mir dann auch gleich die Premiere des Streifens hier in Köln angesehen. Der Film heißt ebenfalls 'Open Ocean', glaube ich zumindest, und darin wird eine Initiative auf Köln begleitet, die Leute mit Behinderungen, Amputationen, aber auch Querschnittslähmung, Erblindung und so das Wellenreiten beibringt. Dazu geht es mehrfach im Jahr nach Portugal, wo sie mit einer Surfschule kooperieren, die mittlerweile auch jahrelange Erfahrungen haben, wenn es um Wellenreiten für Leute mit Behinderungen geht.
Ein sehr schöner Film. Und ein ganz tolles Projekt."
Wünsche an die Prothetik, die Gesellschaft, die Politik
Björn: "Kommen wir zu meiner letzten Frage. Seit ein paar Episoden des Podcasts frage ich Leute am Schluss immer drei Sachen. Und zwar: Wenn du drei Wünsche frei hätten, und zwar einmal, was die prothetische Versorgung angeht, dann was das gesellschaftliche Umfeld angeht und zuletzt was Wünsche an die Politik, Forderungen an die Politik angeht - was wären da deine drei Anliegen? Also nochmal: Einmal das Prothetische, dann das Gesellschaftliche und zu guter Letzt das Politische."
Marian: "Zum Glück bin ich sehr zufrieden mit meiner Prothese. Die sitzt gut. Ich habe keine Wunschstellen oder sowas. Ich bin da für den Alltag gut ausgestattet. Und deswegen ich hätte gerne eine Sportprothese. Nachdem ich jetzt zwei oder drei Mal auf so ein Blade gerannt bin, hätte ich echt gerne eine eigene Sportprothese. Das wär schon klasse.
Und das ist auch gleich die perfekte Überleitung in Sachen Wünsche an die Politik. Ich weiß, kann es keine All-Inclusive-Versorgung durch die öffentlichen Krankenkassen geben, aber es wäre schon schön, wenn es zumindest mal für besonders sportliche und Sport-interessierte Menschen mit Amputationen diese Möglichkeit gäbe. Und auch wenn ich nicht zu fordernd sein will, so hoffe ich, dass sich da eine Lösung finden lässt.
Was mich viel mehr gestört hat und wo in meinen Augen großer Nachholbedarf, das ist der Bereich der Reha. Du hast mich ja vorhin schon kurz auf meine Reha angesprochen. Also in meinem Fall - und ich kann ja nur aus meiner eigenen Erfahrung sprechen - war die Art und Weise, wie die Reha organisiert ist und der Kontakt mit der Deutschen Rentenversicherung, die in meinem Fall zuständig war, eine absolute Katastrophe. Also da muss sich auf jeden Fall was ändern.
Ich habe erst mal ewig gewartet, bis ich überhaupt einen Reha-Platz bekam. Drei Tage bevor es losgehen sollte, kriege ich dann einen Brief von der Reha-Einrichtung, die überhaupt nicht auf Amputationen spezialisiert war, dass sie dauerhaft schließt und dass die Rehamaßnahme daher ausfällt. Mittlerweile war der Unfall schon über ein halbes Jahr her. Deswegen habe ich dann notgedrungen eine ambulante Reha in München gemacht. Ich hatte zu der Zeit eine Wundstelle, so dass die betreuernde Ärztin meinte, ich solle pausieren. Gesagt, getan. Dann habe ich fünf Tage pausiert, bin dann nach einer Woche wieder zu den Anwendungen hingegangen und da haben sie gesagt, ja, nee, sie waren jetzt fünf Tage nicht hier. Die Reha gilt damit automatisch als gescheitert.
Daraufhin habe ich einen neuen Antrag gestellt. Musste ich ja. Wieder bei der Deutschen Rentenversicherung. Das ist jetzt über zwei Jahre her und ich habe noch nicht mal eine Rückmeldung von der Deutschen Rentenversicherung bekommen. Ich habe den hinterhertelefoniert, wurde aber immer vertröstet. Das war schon sehr frustrierend. Und ich sage mal, ich hatte jetzt Glück, weil ich eben schon die Kontakte zu Ottobock hatte; weil ich auch selbst zum Glück in der Lage war, an meiner Genesung oder für meine Genesung zu arbeiten. Aber das war dennoch wirklich ernüchternd, muss ich sagen.
Was meine Wünsche an die Gesellschaft angeht, so finde ich, wir sind eigentlich auf einem ganz guten Weg. Ja, okay, da gibt es diese Blicke im Alltag. Man wird schon immer noch angeschaut wie so ein Alien. Aber ansonsten habe ich noch keine schlechten Erfahrungen gemacht. An die Gesellschaft kann ich eigentlich nur sagen, weiter so.”
Björn “Marian, ich danke dir. Wir könnten hier bestimmt noch eine halbe Stunde weiter quatschen. Vielleicht machen wir das demnächst noch mal über einen Kaffee oder zwei. Jetzt danke ich dir aber erstmal. Es war ein wahres Pläsier.”
Beitrag von Bjoern Eser. Bjoern ist der Gründer von und der Shaker und Maker hinter The Active Amputee.
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